16. Kriminell unterwegs

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Es gab eigentlich keine Zeit, sich auszuruhen. Die nächste Klausur, die am kommenden Montag in Wirtschaft stattfinden sollte, stand bevor und ich musste vor allem in den Leistungsfächern versuchen besser zu sein. Ich hatte meistens nur 7 oder 8 Punkte geschrieben, die Oberstufenberater hatten mir gesagt, dass dies eindeutig zu wenig ist. Ich lief nach unten zu den Schließfächern, dort stand Anna bereits und wartete auf mich. Sie schien wesentlich besser gelaunt als in den letzten Tagen, als sie mich sah, lächelte sie mir zu. Doch dann stieg in meinem Körper wieder das Gefühl der Angst auf. Für einen Moment überlegte ich, das geplante Lernen abzusagen, doch ich entschied mich dagegen. Ich musste sie jetzt ansprechen. „Hey.", sagte ich. Sie lächelte kurz, ihr Blick klebte an ihrem Handy. Ich blickte sie einige Sekunden lang an und fragte mich, warum sie mich nicht mal anblickte, sondern nur mit ihrem Handy beschäftigt war. „Hey, sorry", sagte sie endlich und blickte von ihrem Handy auf. Einen Moment lang herrschte seltsame Stille. „Wollen wir loslegen?", versuchte ich die peinliche Stille zu durchbrechen. Anna packte ihr Handy weg, dann nickte sie. „Ja, aber ganz ehrlich, hier kann ich mich sowieso nicht konzentrieren!" Ich nickte. „Same", sagte ich. „Dann lass zu mir gehen? ", sagte sie und strich sich mit einer Hand die Haare hinter die Ohren. Ich lächelte. „Ja, gerne! ", nickte ich und zog mein Handy heraus. „Ich schreib schnell meinem Dad!", fügte ich hinzu. Sie nickte. Wir liefen an der Aula vorbei zur Türe der Schule. Langsam lies die Angst wieder nach und ich begann meine Finger wieder zu spüren. Kurz bevor wir die Türe erreichten erkannte ich meine Chance und griff schnell nach der Türe, zog diese auf und warte bis Anna durchgelaufen war. Dann folgte ich ihr. Sie lächelte, es war ihr wunderschönes, liebevolles Lächeln und mein Herz begann höher zu schlagen. „Sag mal, wie kommst du eigentlich zur Schule? ", fragte ich. Anna blickte mich für einen Moment etwas irritiert an, dann antwortete sie: „Ja mit dem Zug natürlich!" Wie konnte ich nur so dumm sein?! „Oh stimmt, klar. Aber war da nicht erst Baustelle?", versuchte ich das Gespräch am Laufen zu halten. „Ja, und das ist ne Dauerbaustelle. Die wollten die Elztalbahn schon seit einem Jahr fertig haben, aber die haben es einfach nicht gebacken gekriegt!", erzählte sie, während wir die Straße überquerten. „Krass, hab ich gar nicht mitbekommen!", sagte ich. „Aber wir können einfach zum Hauptbahnhof gehen und dann die eine Station bis Herdern mit der S-Bahn fahren. ", sagte sie. „Shit, ich hab kein Ticket! ", rutschte es mir raus. Mensch, war ich manchmal echt blöd! „Egal, da wird sowieso nicht kontrolliert", sagte Anna. „Ist sowieso besser fürs Klima", fügte sie hinzu. Wow, Anna war ein sehr umsichtiger Mensch, sie dachte nicht nur an sich sondern auch an andere. Mittlerweile standen wir direkt neben der Brücke, auf der die Straßenbahnen zur Haltestelle am Hauptbahnhof fuhren. Anna zog ihr Handy aus der Tasche. „Gleis 5", sagte sie. Ich nickte schnell und folgte ihren zügigen Schritten, gleichzeitig war ich aber auch leicht überfordert. Sie war extrem selbstbewusst, ich wünschte, ich wäre auch so. 

Der Zug fuhr ein und wir stiegen in die Waggons der gelben S-Bahn ein. Die Klimaanlage funktioniert nicht und verwandelte den kleinen Waggon in eine Sauna. Für eine Station sollte es hoffentlich reichen, nicht erwischt zu werden. „Habt ihr eigentlich Haustiere?", versuchte ich ein Gespräch zu beginnen. „Ja, einen Hund!", sagte Anna. „Cute", antwortete ich, und dachte im selben Moment daran, dass ich unbedingt noch mit Skylar rausgehen musste. „Ich mag Tiere, wie alt ist er denn? ", fragte ich weiter. „Er ist noch ziemlich jung, Jimmy ist gerade 2 Jahre alt geworden.", antwortete Anna. "Voll süß", sagte ich und lächelte. Sie nickte. „Guten Tag, einmal bitte die Fahrscheine! ", wurden wir unterbrochen. Ein großer, kräftiger Mann stand vor mir, er trug einen Gürtel, an dem ein Fahrkartenlesegerät befestigt war. Auf seiner Jacke war das Logo der SWEG zu sehen. Scheiße, was sollte ich jetzt tun?! Anna holte ihre Regiokarte aus der Tasche und zeigt diese dem Fahrkartenkontrolleur. Dieser nickte nur kurz dann drehte er sich zu mir. Ich stand für einen Moment reglos da. Doch Anna, die sich von der Situation überhaupt nicht beirren lies, zeigte keinerlei Angst oder Unsicherheit. Sie setzte einen französischen Akzent auf und lief auf den Mann mit dem Fahrkartenlesegerät zu. „Sagen Sie, wie komme ich eigentlich vom Bahnhof in Herdern zu mir nach Hause, in die Hauptstraße?", hörte ich Anna sagen. Der Kontrolleur blickte sie für einen kurzen Moment irritiert an, dann schüttelte er den Kopf und sagte: "Ja mit dem Bus natürlich", er schüttelte erneut den Kopf und wandte sich wieder mir zu. „So, junger Mann, zeigst du mir mal bitte deine Fahrkarte", rief er mir zu. Hektisch begann ich in meiner Hosentasche zu kramen. „Aha, mit welchem Bus denn? ", fragte Anna weiter. „Ja die Linie 7, der in die Innenstadt fährt.", sagte der Kontrolleur. So langsam verstand ich, worauf sie hinauswollte. Der Kontrolleur versuchte sich wieder zu mir umzudrehen, doch Anna stellte sich geschickt in den Weg. „Wissen Sie welche Nummer der Bus in die Innenstadt hat? ", bohrte Anna weiter. „Ja, hab ich doch gerade gesagt, die 7!", antwortete der Kontrolleur zunehmend genervter. Ich sah, wie der Zug langsamer wurde und in den Bahnhof in Herdern einfuhr. Langsam schöpfe ich Hoffnung. Der Plan könnte tatsächlich aufgehen. Anna, sie hatte mittlerweile sichtlich Mühe den Kontrolleur von mir abzuhalten suchte verzweifelt nach einer Frage, um Zeit zu gewinnen. Qualvoll lange Sekunden verstrichen. Der Zug wurde immer langsamer. „Können Sie bitte kurz nachschauen, ich kenne mich hier nicht so gut aus ", sagte Anna und langsam wurde auch sie verzweifelter. „Du bist Schülerin in Freiburg! ", sagte der Kontrolleur nach einem kritischen Blick auf Annas Fahrkarte. Doch diese hatte trotz der brenzligen Situation scheinbar Nerven aus Stahl. „Ich wohne noch nicht so lange hier, davor war ich in Frankreich", stammelte Anna. Ich hörte nur noch, wie Anna ein „Wir sind umgezogen deswegen kenne ich mich hier noch nicht so gut aus ", nuschelte, dann piepsten die Türen der S-Bahn und wir rannten beide so schnell wir konnten aus dem Zug. Auf dem Bahnsteig rannten wir weiter, Anna voraus und ich ihr hinterher. „Shit, Alter, das war knapp! ", rief ich völlig außer Atem. „Ja", sagte sie und stützte sich gegen eine Laterne, um zu verschnaufen. „Danke, wirklich! Du hast echt Nerven!", schrie ich euphorisch und lachte laut und fröhlich. Sie lächelte mich an und für einen Moment lang blicken wir uns einfach nur in die Augen. „Ähm, ja, sollen wir losgehen? ", sagte Anna plötzlich und wendete schnell ihren Blick ab. „Äh, ja klar!", sagte ich und wir liefen die Treppe vom Bahnsteig hinunter auf die Straße. Hatte ich etwas falsch gemacht? „Wohnst du wirklich in der Innenstadt?", fragte ich. „Nee, von hier aus direkt 2 Straßen weiter.", antwortete sie. „Eigentlich hat nichts davon gestimmt, was ich gesagt hatte, bis auf dass wir umgezogen sind.", fügte sie hinzu. „Echt, wieso?" „Hat mit meinem Vater zu tun, ist ne lange Geschichte.", murmelte sie und senkte ihren Blick. Ich nickte. „Okay, verstehe", fügte ich hinzu. Wir liefen weiter, der Sonnenuntergang tauchte den Himmel in ein feuriges rot und strahlte die Bäume in einem herrlich angenehmen Licht an. Nachdem wir einige Minuten durch die engen Straßen in denen überall Flaschen, alte Möbel und Kisten voller Dingen, die die Leute verschenken wollten gegangen waren, standen wir vor Annas Haus. Es war ein typisches Hochhaus, neben der großen, grauen, metallenen Eingangstür waren etliche Klingelschilder zu sehen. Anna schloss die Türe auf, wir liefen durch das dreckige Treppenhaus. Ich blickte mich um. Es schien ein ärmeres Wohnviertel zu sein, doch man spürte den Mut und den Kampfgeist der Menschen die dort lebten, der das ganze Treppenhaus füllte. 



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