40. Wer seid ihr wirklich? (tw)

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Die Türe ging auf und mein Vater und meine Mutter standen in der Türe. Ich hatte meine Eltern noch nie so besorgt und irritiert zugleich gesehen. Mein Vater hatte geweint, sein Hemd, dass sonst immer ordentlich war, war zerknittert, er war außer Atem, meine Mutter wischte sich ebenfalls die Tränen weg. Sie blickte mich erschrocken an, anscheinend war sie direkt von der Polizeiwache gekommen, denn sie hatte noch ihre Uniform an. Meine Mutter setzte sie sich neben mich auf einen Stuhl und rang nach Luft. Seinen Vater weinen zu sehen ist echt schwer auszuhalten, das kann ich versprechen. „Erik, was ist passiert?", rief meine Mutter. „Ich kann es nicht sagen, Mama", weinte ich. Sie schüttelte den Kopf. „Doch, du musst! Ich mache mir solche Sorgen!", rief sie. „Und dein Vater auch!" „Frau Sommer, das ist meiner Meinung nach nicht der richtige Moment für Vorwürfe", sagte der Arzt und Mike nickte zustimmend. Er hatte meine Eltern seit sie den Raum betreten hatten für keine Sekunde aus den Augen gelassen. „Wir sind immer für dich da", sagte mein Vater schnell. Doch ich wusste, dass er das niemals von sich aus gesagt hätte. Das Lächeln auf meinem Gesicht wurde kleiner. Denn das war ein Satz, den Eltern ständig zu ihren Kindern sagten. Dabei hatte ich es, wenn ich ehrlich zu mir selbst war, nie so wirklich gespürt, auch wenn ich es immer gehofft hatte. Ich hatte immer gemeint, alles wäre normal mit meinen Eltern gewesen. Doch warum hatten sie nichts bemerkt? Ich dachte an die Nacht, in der ich auf dem Geländer meines Balkons gesessen hatte und behauptet hatte, ich wäre nur „ein bisschen krank". Warum hatten meine Eltern nichts bemerkt? Deswegen sagte ich nur kurz: „Danke."

„Ich bin rechtlich dazu verpflichtet deine Eltern zu informieren, was passiert ist. Ich komme gleich wieder zu dir.", sagte der Arzt und verließ mit meinen Eltern den Raum. Als sich die Türe schloss, atmete Mike deutlich hörbar aus. "Was ist?", fragte ich ihn. "Finley, du kannst mir doch nicht sagen, dass die beiden das gerade ernst gemeint hatten?", sagte er. "Was meinst du?", fragte ich. Mike setzte sich neben mich auf das Bett. "Das: Wir sind immer für dich da!", sagte er und schüttelte den Kopf. Ich schwieg sehr lange. "Nein.", brachte ich schließlich heraus. "Das haben sie nicht ernst gemeint.", sagte ich. Mike schüttelte den Kopf. "Das eigene Kind liegt im Krankenhaus, und die Eltern haben nichts besseres zu tun, als dem Kind Vorwürfe zu machen", murmelte er vor sich hin. Ich sagte nichts. „Finley, bitte versprich mir eine Sache", sagte er. „Was?", fragte ich, unsicher, was nun kommen sollte. „Bitte mach die Therapie und sag mir Bescheid, wenn jemals irgendein Vollidiot dir das Gefühl geben sollte, nicht wertvoll und unersetzbar zu sein. Dann sorge ich nämlich dafür, dass die Person nie wieder auf die Idee kommt, dir dieses Gefühl zu geben. Die Welt braucht dich, Finley. Wirklich." Mikes Worte hallten noch ein paar Sekunden nach. „Die Welt braucht dich, Finley. Wirklich.", sagte eine leise Stimme in meinem Kopf. Dann, auf einmal hörte ich mich zögernd und leise antworten: 

„Ja."


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