21. Oma und Opa

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Finley

Als ich an diesem Mittag nach Hause kam, war immer noch alles durcheinander in meinem Kopf. Ich warf meine Schultasche in die Ecke, dann verschwand ich sofort in mein Zimmer. Was sollte ich tun? Es schien irgendwie alles so hoffnungslos, dass ich immer wieder überlegte, ob ich die Schule vielleicht doch abbrechen sollte. Ich ließ mich auf mein Bett fallen und starrte an die Decke. Dann griff ich nach meinem Handy. Hin und hergerissen zwischen Optimismus und Verzweiflung entsperrte ich es, ich öffne den WhatsApp Chat unserer Stufe. Es war nichts Besonderes, die gleichen wichtigen Leute wie immer, die sich für wichtiger hielten, als sie es eigentlich waren. In diesem Moment kam mir eine Idee. Es gab vielleicht doch eine Person, der ich vertraute. Mein Opa, ein 72-jähriger, großer, dünner Mann lebte mit seiner Frau in Berlin Kreuzberg. Ich vermisse ihn und meine Oma, selten sahen wir uns, und wenn wir uns sahen meistens nur in den Sommerferien. Doch die letzten Sommerferien hatte ich die beiden nicht gesehen, weil sie verreist waren. Nach kurzem Zögern beschloss ich, ihn anzurufen. Ich öffnete meine Kontaktliste und suchte die die Nummer. Dann drücke ich auf den grünen Hörer. Zuerst ertönte ein lautes, piependes Geräusch, dann noch eins und noch eins. Auf einmal meldete sich eine warme, weiche Stimme. „Manuel Nelson, guten Tag", hörte ich meinen Opa aus dem Telefon sprechen „Hallo Opa, ich bin's. Hast du gerade etwas Zeit", fragte ich mit zittriger Stimme. „Ja klar, Erik, wie geht es dir?", rief mein Opa fröhlich. „Mir geht es gerade gar nicht gut. Ich hatte eine Schulwoche, die ich nicht mehr erleben möchte." „Warte, mein lieber. Soll ich Oma Laura holen? Vielleicht können wir zusammen eine Lösung finden...", fragte mein Opa. „Ja, gerne, geht es ihr denn gut?", entgegnete ich. „Ja, Erik, Oma Laura geht es gut. Warte noch kurz, ich gebe ihr schnell Bescheid", sagte er, daraufhin raschelte es kurz und nach einigen Sekunden meldet sich die Stimme meiner Oma. Neben meinem Opa gehört sie den wichtigsten Personen in meinem Leben, zu den wenigen Personen, denen ich vertraute und zu den Personen, die ich am meisten vermisse, wenn ich sie nicht sehen kann. „Hallo Oma, wie geht es dir?", fragte ich und kämpfte mit den Tränen. „Erik, mein lieber, wie geht es ir?", fragte sie besorgt. „Meine erste Schulwoche lief noch ganz in Ordnung, doch danach merkte ich, dass es mir zurzeit echt nicht gut geht und dass ich dringend Hilfe brauche.", begann ich und braucht nun endgültig im Tränen aus. „Alles wird gut, du kannst uns immer anrufen und uns erzählen was dich belastet.", hörte ich die ruhige Stimme meines Opas. „Du hattest vorhin gesagt, die letzte Schulwoche war so schlimm, was ist passiert?", fragte er. „Es kam einfach alles zusammen. Ich hatte einen Unterkurs in Mathe, ich hatte heute eine Panikattacke in der Schule, ich konnte die letzten Nächte kaum schlafen, dazu kommt noch, dass es gerade ein Mädchen gibt, bei dem ich nicht weiß, was zwischen uns ist...", begann ich nun zu erzählen. „Langsam, mein Lieber langsam. Fühlst du dich nicht wohl in der Schule?", fragte meine Oma. „Nein, überhaupt nicht. „Und Erik, kannst du uns kurz erklären, was ein Unterkurs ist?", bat mein Opa. „Das ist wenn man in einem Fach zu wenig Punkte bekommt, weil man zu schlecht ist. Wenn man zu viele Unterkurse hat, darf man nicht zum Abitur.", erklärte ich. „Puh, das ist ja heftig", sagte mein Oma. „Es herrscht dort so ein immenser Druck, dass ich es dort keinen einzigen Tag länger aushalte.", sagte ich. Ich hörte, wie man Opa tief durchatmete, und dann sagte: „Glaub mir, du bist stärker als du denkst." „Und glaub auch keinen Fall, dass das richtig und normal ist, wie das Schulsystem mit dir umgeht! Kein Lehrer der Welt, kein Schulsystem, dass sich auf die Fahne schreibt, euch Jugendlichen das Wissen zu vermitteln, mit dem ihr in unserer chaotischen Welt bestehen könnt, hat das Recht so mit dir umzugehen!", sagte meine Oma. Wut schwang in ihrer Stimme mit. Wut, die deutlich hörbar war, und die sich auf mich übertrug. „Soll ich dir eine Geschichte erzählen?" fragte mein Opa. Ich nickte, dann sagte ich: „Ja, gerne." Mein Opa holte tief Luft, dann sagte er: „Als ich so alt war wie du, ich musste gerade so 17 gewesen sein, da traf ich in der Schule ein Mädchen. Sie hatte blaue Augen, braune Haare, eine tolle Figur...", Ich hörte wie meine Oma kurz auflachte. Mein Opa setze fort: „dieses Mädchen besuchte die gleiche Schule wie ich, dass Gymnasium in Berlin". Ich merkte, wie gut es tat meinem Opa zuzuhören. „Wir freundenten uns an, trieben Scherze, wir ärgerten die Lehrer, bis zum Tadel!" Ich musste lächeln. Die Beschreibung passte genau auf meine Oma. Selbstbewusst, für jeden Spaß zu haben, schlau und gut organisiert. „Erzähl weiter Opa", bat ich. „Doch, eines Tages trieben wir es zu weit. Wir wurden erwischt, wie wir an einem späten Donnerstag Nachmittag versuchten, durch die Luke auf dem Dachboden der Schule auf das Dach zu klettern." Meine Oma lachte auf. "Wir wollten uns nur etwas amüsieren, Erik, mehr nicht...", sagte sie. "Genau.", fuhr mein Opa fort. "Wir mussten daraufhin am Freitagmittag nachsitzen. Eine Schande war das. Während alle Jungen in meinem Alter in der Stadt herum tobten, auf den Markt gehen oder für 2 DM eine gemischte Tüte kaufen und diese mit ihrer Freundin am Fluss oder auf dem Marktplatz aßen, oder gemeinsam Kaffee trinken gingen, durfte ich im stickigen Keller der Schule nachsitzen. Und wie es dann kam, verliebte ich mich in deine Oma, und das Nachsitzen, das so schrecklich erschien, hatte uns beide am Ende doch zusammengebracht." Ich lächelte. „Als mich dann dein Opa ein paar Wochen später gefragt hat, ob ich seine Partnerin sein möchte, habe ich natürlich sofort ja gesagt. Ich hatte mich schließlich auch in ihn verliebt. Und bevor wir die Schule dann verließen, gingen wir am letzten Freitag unserer Schulzeit an einem Nachmittag, der genauso schlimm war wie der, an dem wir nachsitzen mussten, zu unserem Lehrer, der uns zu dieser Strafe verdonnert hatte, und bedanken uns bei ihm, dass er uns hatte nachsitzen lassen .", beendete meine Oma die Erzählung. „Deswegen mein lieber, so schwer es gerade auch ist, es wird auf jeden Fall besser und manchmal erfolgt aus der Not und die Chance, etwas so zu verändern, wie du es dir immer schon gewünscht hast. Das kann manchmal schwer sein, doch denk immer daran, ich hätte auch nicht gedacht, dass aus einem Nachsitzen, das mir zuerst so lästig und unnötig erschien, etwas so Wunderbares wie die Beziehung mit deiner Oma entstehen könnte. Doch es ist tatsächlich passiert, auch wenn ich es nicht für möglich gehalten hatte.", sagte Opa. „Danke, Opa.", sagte ich, und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Vielleicht hatte mein Opa recht. Vielleicht war alles, was gerade passiert, der Beginn eines Lebens, in dem es sich wieder lohnte, jeden Tag aufzustehen.





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