Am nächsten Tag, nach der 6. Stunde ging ich in die Mensa um mir etwas zu essen zu besorgen, denn ich hatte Nachmittagsunterricht. Ich stellte mich in die lange Schlange, zu den anderen und holte mein Handy aus der Tasche. Eine neue Mitteilung leuchtete auf dem Bildschirm auf. Es war Mike, der mir geschrieben hatte. Vielleicht stimmte der Gedanke, dass mich niemand mochte, doch nicht so ganz. Ich antwortete ihm kurz, dass ich ihn schon gesehen hatte, lief ein Stück weiter in der Schlange und war nun an der Essensausgabe. Nur noch wenige Meter, dann war ich an der Reihe. Plötzlich wurde ich von der Seite angerempelt. Schnell drehte ich mich um und sah Isabel, die sich vorgedrängelt hatte und mich fies über die Schulter nach hinten angrinste. „Sorry, ich habe noch ein wichtiges Meeting...", sagte sie mit ihrer hohen, schrillen Stimme. Für einen Moment wollte ich mich wehren und etwas erwidern. Doch dann überlegte ich es mir anders. Isabel hatte so viele Kontakte in der Stufe, sie war sehr beliebt, auch wenn ich nicht verstand, warum. Sie konnte so oft sie wollte Lügen über andere verbreiten, und hatte dies den Gerüchten zu Folge auch schon getan. Deswegen beschloss ich den Kürzeren zu ziehen und einfach nichts zu sagen.
Als ich mein Essen bekommen hatte lief ich zu dem Tisch, an dem Mike saß. Er hatte einen Platz für mich freigehalten und ich setzte mich ihm gegenüber. „Jo, Erik, was geht?", rief er und gab mir kurz die Hand. „Joa, mir gehts ganz okay.", sagte ich, nahm das Besteck in die Hand und begann zu essen. „Wie war dein Tag?", fragte ich. „Ganz gut", antwortete er. „Ich hatte heute erst zur 3. Stunde. Und wie war dein Tag?" „Geht so.", sagte ich. Wir schwiegen ein paar Sekunden. „Hast du noch Mittagsschule?", fragte Mike. „Ja, Gemeinschaftskunde.", sagte ich. „Und du?" „Bio", antwortete Mike. „Ah nice", meinte ich. „Hast du Grundkurs?", fragte ich, während ich mein Schnitzel aufaß. „Ja, denn ich mag Tiere total, und die anderen Naturwissenschaften liegen mir überhaupt nicht. Digga, wie soll ich so n Periodensystem in meine Matschbirne kriegen?! Da kracht es aber komplett!", sagte er und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. Ich musste lachen. „Ja, fühl ich.", entgegnete ich. Wir schwiegen wieder ein paar Sekunden. „Bist du schon satt?", fragte Mike und blickte auf meinen noch ziemlich gefüllten Teller. „Jaja, ich...hab nicht so viel Hunger...", entgegnete ich schnell. „Okay...", sagte Mike. Er blickte mich besorgt an. „Wie ist es denn eigentlich jetzt mit Anna?", frage er weiter. „Ach, ich weiß es überhaupt nicht.", sagte ich und senkte den Blick. „Schreibt ihr denn?", fragte er nach. „Ne, gerade nicht so wirklich.", sagte ich. Sollte ich ihm erzählen, was passiert war? „Oh okay, das klingt nicht so gut...", meinte er, während er nachdenklich auf seinen leeren Teller blickte. Dann fiel sein Blick auf meinen Teller. Für einen Moment sah er mich an, grinste und sagte dann: „Meinst du ich kann ein bisschen..." „Ein bisschen was?", fragte ich ahnungslos. „Ein bisschen was haben davon?", sagte er und zeigte auf meinen Teller. „Achso, ähm, ja klar", sagte ich, lachte verlegen und schob ihm meinen Teller hin. „Aber weißt du denn, ob ihr befreundet seid?", fragte er, während er zu essen begann. „Nein.", sagte ich. „Das ist ja gerade das Problem. Ich weiß nicht was zwischen uns beiden ist. Es ist nicht so dass da gar nichts ist, aber es ist auch nicht so dass ich sagen kann, was wir füreinander fühlen.", erklärte ich. „Hm. Das ist echt schwierig?", sagte er bedrückt. Ich nickte. „Aber das wird, okay?", sagte er. Er beugte sich ein Stück zu mir vor. „Steck mal den Kopf nicht in den Sand. Ich hatte mit Leni auch schon solche Phasen, wo ich überhaupt nicht wusste, wie's weitergeht. Und es hat trotzdem immer wieder irgendwann funktioniert mit uns beiden.", sagte er und lächelte mir ermutigend zu. „Leni?", hakte ich nach. „Meine Freundin", sagte er und ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Awwww, schön", sagte ich und musste ebenfalls lächeln. Wir schwiegen wieder kurz. „Ja, also ich stand gestern Morgen bei den Schließfächern, hab mein Geschichtszeug geholt und dann standen ganz viele Menschen um Anna. Und sie war total gestresst, ich bin dann zu ihr hingegangen und hab gefragt, was denn passiert ist. Aber dann wurde sie richtig wütend und genervt, sie hat gemeint ich sollte sie einfach in Ruhe lassen. Dann ist sie gegangen und hat mich alleine gelassen." „Oh, shit.", sagte Mike. „Das hört sich nicht gut an..." Er hatte seine Stirn in Falten gelegt, strich sich nachdenklich durch die Haare und saß ruhig auf seinem Platz. „Ne, überhaupt nicht.", meinte ich frustriert. „Und eigentlich kann ich's jetzt so ziemlich vergessen.", fügte ich hinzu. „Ne, kannst du nicht.", sagte er entschlossen und richtete sich auf. „Warum?", fragte ich skeptisch und blickte von meinem Teller auf. „Vielleicht hat sie auch Gefühle für dich. Und vielleicht mag sie dich tatsächlich so wie du sie magst und sie weiß nur nicht, wie sie es dir zeigen soll. Vielleicht ist sie deswegen etwas unsicher und aufgeregt und dann wurde ihr alles zu viel. Das muss auch nicht unbedingt was mit dir zu tun haben.", sagte er. Ich überlegte kurz. „Genau das gleiche Thema hatte ich mit Leni am Anfang auch.", fügte er hinzu. Ich nickte. „Wie lange seit ihr schon zusammen?", fragte ich. „Seit ich vor 2 Jahren hier hergewechselt bin.", erzählte er. "Ich wohne jetzt mit meinen Eltern und meinen beiden kleinen Brüdern im Stadtviertel Weingarten", sagte er. „Das freut mich sehr für euch beide.", sagte ich. Wir schwiegen kurz. „Wo warst du denn davor?", hakte ich nach. „Ich weiß nicht, ob du das jemals mitbekommen hast, aber ich hab ADHS und deswegen war ich auf einer anderen Schule.", sagte er. „Aber jetzt hab ich eine Diagnose bekommen, ich kann jetzt besser damit umgehen und kann wieder auf eine ganz normale Schule gehen, so wie die auf der ich jetzt bin, hier in Freiburg.", meinte er. Ich nickte und wusste nicht, was ich sagen sollte. „Danke, dass du mir das erzählt hast", sagte ich schließlich leise. „Danke, dass du mir zugehört hast", erwidert Mike und lächelte. Wir schwiegen für einige Sekunden. „Oh, shit, ich hab total die Zeit vergessen und ich hab ganz oben Unterricht!", sagte er auf einmal. „Machs gut, Bro!", rief er und gab mir die Hand. „Bis morgen", sagte ich und schlug ein.
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Plötzlich Erwachsen
Teen FictionFreiburg, 2023. Der 16-jährige Erik kommt zum neuen Schuljahr in die Oberstufe, in der er sich 2 Jahre lang auf sein Abitur vorbereitet. Er schöpft neue Hoffnung, endlich neue Freunde zu finden. Auf der Suche nach Anschluss in seiner Stufe nimmt er...