„Erik, wieso hast du uns nichts davon erzählt?", fragte mein Vater, als wir am selben Abend beim Abendessen saßen. Meine Mutter blickte ebenfalls von ihrem Teller auf und sah mich fragend an. Sie war gestresst, ihre blonden Haare hingen ihr ins Gesicht, sie trug bereits ihr Hemd, auf dem das Wappen der Polizei zu sehen war, denn sie musste gleich zur Nachtschicht. Ich schwieg, lehnte mich zurück und blickte meinem Vater lange in die Augen. „Weil ich euch nicht genügend vertraut habe.", brachte ich schließlich hervor. Meine Mutter atmete tief auf, sie lehnte sich nach vorne und betrachtete mich skeptisch. „Erik. Papa und ich sind immer für dich da, und wir sind auch immer für dich dagewesen. Das weißt du doch, oder?", sagte sie und lächelte. Doch das Lächeln meiner Mutter wirkte nicht echt, es wirkte künstlich, gar aufgesetzt. „Papa?" „Ja, Erik?", sagte mein Vater und hob seinen Blick, den er auf den leeren Teller gerichtet hatte. „Papa, als ich auf dem Balkon saß, eines Nachts und ich dir gesagt habe ich sei krank, hast du da wirklich nicht gemerkt, was mit mir los war?", sagte ich und meine Stimme fing an zu beben. „Nein", sagte mein Vater und blieb ganz ruhig sitzen. „Und als ich morgens nichts mehr frühstücken konnte, als ich eine halbe Stunde auf der Toilette saß, bevor ich in die Schule gegangen bin?", sagte ich und merkte, wie ich zunehmend wütender wurde. „Hast du da auch nichts gemerkt?", setzte ich nach. Mein Vater schwieg, meine Mutter tat es ihm gleich. „Und als ich nur noch schlechte Noten nach Hause brachte? Als ich eine Klausur nach der anderen unterpunktete, sodass ich nur knapp das Schuljahr schaffen werde und schon einen ganzen Haufen schlechte Noten habe, die in mein Abitur zählen? Hast du da auch nichts bemerkt?", sagte ich und war kurz davor in Tränen auszubrechen. Mein Vater schüttelte den Kopf. „Erik, beruhige dich, das kannst du so nicht sagen. Mama und ich sind doch für dich da, das weißt du doch.", sagte er trocken. „Ich glaube euch, dass ihr mich liebt. Aber wenn ihr mir jetzt Vorwürfe macht, warum ich euch nichts gesagt hätte – dann sage ich euch eine Sache." Nun ließ ich mir Zeit für eine sehr lange Pause. „Dann gehe ich erstmal zu meinen Großeltern nach Berlin. Zumindest für die Sommerferien." Ich ließ meine Worte wirken. Meine Eltern blickten sich schockiert an, sie brachten beide keinen Ton heraus. „Schon so lange wollte ich Oma und Opa besuchen. Jetzt werde ich es tun.", sagte ich. Dann blickte ich meinen Eltern noch einmal tief in die Augen, nickte, stand auf und verließ den Raum.
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Plötzlich Erwachsen
Genç KurguFreiburg, 2023. Der 16-jährige Erik kommt zum neuen Schuljahr in die Oberstufe, in der er sich 2 Jahre lang auf sein Abitur vorbereitet. Er schöpft neue Hoffnung, endlich neue Freunde zu finden. Auf der Suche nach Anschluss in seiner Stufe nimmt er...