41. 41 verpasste Anrufe (tw)

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„Finley", sagte Mike schließlich, als wir einige Sekunden geschwiegen hatten. Ich hob den Kopf und blickte ihn an.
„Was hat der Zettel zu bedeuten?", fragte er besorgt.
Ich holte tief Luft.
„Ich liebe meine Eltern. Aber ich glaube, sie verstehen mich nicht. Vor allem mein Vater. Er hat mich gesehen, als ich nachts alleine auf dem Balkongeländer saß, er hat gesehen, wie ich mich zurückgezogen habe. Doch er hat nicht verstanden warum. Davor habe ich Angst. Nicht verstanden zu werden. Und deswegen wollte ich nicht, dass die beiden wissen, was passiert ist. Weil ich befürchte, dass er es nicht versteht."
Dann zog ich meine Ärmel hoch und zeigte Mike meine Unterarme, die voller Narben und Kratzer waren. Es waren die Narben der letzten Monate und Jahre, die ich immer versucht hatte, zu verstecken. Mikes Augen weiteten sich vor Schreck.
„Oh Gott, was hast du gemacht?!", stammelte er.
„Ich konnte nicht mehr, Mike", gab ich zu und ließ mich zurück in das weiche Kissen fallen.
Mike sagte nichts. Er starrte weiterhin mit offenem Mund auf meinen Arm, der von Narben und Schnittwunden übersät war, und brachte kein Wort heraus.

In diesem Moment vibrierte mein Handy. Ich hatte es, während ich im Krankenwagen gelegen bin, nicht hören können.
„Gib mir mal bitte meinen Rucksack", bat ich Mike.
Er hob den Rucksack vom Boden auf und ich öffnete die Tasche. Als ich mein Handy anschaltete, erschrak ich heftig. 41 verpasste Videoanrufe von ihm! Schnell tippte ich auf das Kamerasymbol. Es piepte zuerst ein paar Sekunden. Dann sah ich Lolas besorgtes Gesicht.
„Finley, was ist passiert? Wo bleibst du denn? Ich mach mir solche Sorgen!", sagte er.
„Lola!!", rief ich.
„Ich musste ins Krankenhaus, weil ich von der Brücke springen wollte und nicht mehr konnte. Es tut mir so leid, ich kann dir das gerade noch nicht erzählen, aber bald. Versprochen.", stammelte ich und ein Meer aus Tränen lief mir die Wangen hinunter.
Lola blieb ganz ruhig und atmete ein paar Mal tief durch.
„Es wird alles gut, mein Schatz. Ich bin immer für dich da und ich lasse dich nicht alleine. Wir schaffen das gemeinsam.", sagte Lola und seine Stimme bebte.
Ich nickte und ließ mich wieder in das Kissen fallen.
„Mike hat mich auf der Brücke gesehen, und mir gerufen und das hat mich davon abgehalten zu springen.", erzählte ich.
„Er sitzt neben mir.", fügte ich hinzu, dann drehte ich die Kamera und Mike winkte kurz.
„Du wirst das schaffen, Finley. Ich werde dich auf keinen Fall alleine lassen. Du darfst mir gerne alles erzählen, aber du musst nicht. Ich werde dich zu nichts zwingen, aber wenn du mir etwas erzählen magst, werde ich dir so lange zuhören, wie du es brauchst, bis es dir wieder besser geht.", sagte er und lächelte.
„Danke Schatz!", antwortete ich.
In diesem Moment ging die Türe auf und der Arzt kam herein.
„Du, ich muss auflegen, der Arzt kommt gerade rein.", sagte ich und winkte noch einmal.
„Okay, hab dich lieb!", sagte Lola noch schnell, dann legten wir auf.

„Hat da jemand gerade etwa ‚Hab dich lieb' gesagt?", fragte Mike und grinste mich herausfordernd an.
Ich nickte und musste etwas schmunzeln.
„Und, was hab ich dir gesagt?!", rief er lachend, stand auf, lief zu mir und klopfte mir lachend auf die Schulter.
„Hat da etwa jemand einen Freund?", fragte er und grinste über das ganze Gesicht.
Ich nickte und musste schmunzeln.
„Ja, hab ich", sagte ich und wir begannen zu lachen.

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