„Heute hat uns Frau Keller in der Schule gesagt, was mit Finley los ist", sagte ich zu Mike. Wir saßen auf dem Spielplatz am Rand des Schulhofes. Mike saß auf dem obersten Holzpfeiler des Klettergerüstes, ich saß direkt unter ihm, auf einer kleinen Schaukel. Ein leichter Wind ging und es war angenehm warm. „Und, was haben die anderen gesagt?", fragte Mike betrübt. Die Gelassenheit, mit der er die Dinge die ihm begegneten anpackte, war aus seinem Gesicht gewichen. „Nicht viel. Es war einfach still. Wahrscheinlich, weil alle schockiert waren", sagte ich. „Ich meine wir waren ja auch schockiert." Mike nickte. „Ja, das waren wir.", sagte er leise. „Und ich mache mir immer noch Vorwürfe, es nicht früher gemerkt zu haben", fügte er hinzu. „Mike, du hast Finley das Leben gerettet!", rief ich und stieß mich mit einem Fuß vom Boden ab, sodass die Schaukel begann hin und her zu schaukeln. „Wärst du nicht dagewesen, wäre er wahrscheinlich gesprungen." Mike nickte und lehnte sich gegen die Wand des kleinen Holzhäuschens, dass hinter ihm angebracht war. „Was hast du eigentlich an diesem Abend am Bahnhof gemacht? Und warum hattest du dich hinter die Absperrung von den Gleisen gesetzt?", fragte ich. Mike ließ sich viel Zeit mit der Antwort. „Ich hatte einen schlechten Tag. Meine Eltern hatten sich gestritten, und ich habe auf meine beiden Brüder aufpassen müssen. Deswegen konnte ich nicht ins Gym gehen", sagte er. „Meine Mutter ist einfach davongerannt, sie hat die Türe zugeschlagen und war weg. Sie ist erst am nächsten Tag zurückgekommen", erzählte er. „Dann bin ich rausgegangen, hab den Jungs gesagt, sie dürfen mit meiner PS4 zocken, und dann ging's ab an die frische Luft. Ich bin an den Bahnhof gegangen, da hinten sollte mich niemand sehen, dachte ich. Dann hab ich ne Zigarette geraucht, und ab dann weißt du ja, was passiert ist", beendete Mike seine Erzählung. Ich schwieg, und verstand, dass er sich Vorwürfe machte. Trotzdem hatte er Finley das Leben gerettet. „Trotzdem hast du Finley das Leben gerettet", sagte ich entschlossen. Mike, der die ganze Zeit über die raschelnden Blätter des Ahornbaumes betrachtete, der uns gegenüber stand drehte seinen Kopf zu mir und blickte mich fragend an. „Meinst du wirklich?", fragte er. Ich nickte entschlossen. „Auf jeden Fall", sagte ich klar und deutlich. Langsam nickte Mike. „Okay.", sagte er. Dann sprang er von dem Holzbalken, auf dem er gesessen hatte. „Lola, ich muss reinhauen.", sagte er. „Ich kann nicht schon wieder Legday skippen", sagte er. Ich musste lachen. „Okay.", sagte ich. „Dann bis morgen", sagte Mike. „Bis morgen", sagte ich und blickte ihm noch lange hinterher, bis er an der nächsten Straßenbiegung verschwand.
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Plötzlich Erwachsen
Ficção AdolescenteFreiburg, 2023. Der 16-jährige Erik kommt zum neuen Schuljahr in die Oberstufe, in der er sich 2 Jahre lang auf sein Abitur vorbereitet. Er schöpft neue Hoffnung, endlich neue Freunde zu finden. Auf der Suche nach Anschluss in seiner Stufe nimmt er...