Nachdem das Gespräch mit meinen Großeltern zu Ende war, blieb ich noch einige Minuten auf meinem Bett liegen. Ich fühlte mich zwar immer noch innerlich leer, doch nicht mehr so sehr wie bevor ich mit meinen Großeltern gesprochen hatten. Es war still in meinem Zimmer, bis auf die Lampe, die an der Decke brummte und der Regen, der ans Fenster prasselte. Ich zog die bunte Decke über mich, dann griff ich nach meinem Handy, entsperre es, einige Minuten swipte ich unschlüssig zwischen Instagram, Snapchat und WhatsApp hin und her. Dann öffnete ich Safari, tippte auf das Suchfeld und gab ein: Therapie Freiburg. Etliche Ergebnisse wurden mir ausgespuckt, ich scrollte nach unten, lass einen Vorschlag nach dem anderen. Meine Unsicherheit war noch groß, doch ich beschloss mir die Rezessionen der einzelnen Ärzte und Therapeuten durchzulesen. Nach einer halben Ewigkeit war ich schließlich fertig. Ich überlegte erneut, ob ich gerade das richtige tat. Es fühlte sich so an, doch gleichzeitig gab es andere Menschen, denen es weitaus schlimmer ging als mir. Doch schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit beschloss ich den Schritt zu wagen. Ich öffnete, das E-Mail-Feld. Erneut zweifelte ich.
Doch warum?
Eigentlich hatte ich nichts mehr zu verlieren. Ich wusste nicht mehr, wer meine Freunde waren, nirgends fühlte ich mich mehr aufgenommen und akzeptiert. Eine kleine Träne lief mir die Wange hinab. Keine Schwäche zeigen, seine Gefühle unterdrücken, das waren die Dinge, die uns die Schule wirklich beibrachte. Immer mehr merkte ich, wie gefährlich das werden konnte. Genau die Schule, die uns versprach, uns auf unsere Zukunft vorzubereiten, genau diese Schule zerstört uns. Mein Leben war nichts mehr, außer jeden Tag in die Schule zu gehen, zu kämpfen, zu weinen, zu lernen und zu schlafen, und dann, wenn ich es überhaupt schaffte, zur Schule zu gehen, das Ganze zu wiederholen. Ich begann die Nachricht zu tippen. Es war so schrecklich ungerecht, wie mit uns umgegangen wurde, das wusste ich. Doch, und das war noch viel schlimmer, ich konnte nichts dagegen tun. Würde ich mich wehren, würde ich mit einer schlechten Verhaltensnote bestraft werden. Würde ich in der Schule zeigen, dass es mir nicht gut geht, würde gesagt werden, dass ich meine Mitschüler vom Lernen abhalten würde. Deswegen musste ich alles unterdrücken, was ich eigentlich herausschreien wollte. Würde ich offen in der Schule darüber sprechen, was in mir vorging, würde mir gesagt werden, dass ein bisschen Stress vor dem Abitur vollkommen normal sei und ich mich nicht so anzustellen bräuchte. Genau dieselbe Schule, die von sich behauptet, sie würde auf ihre Schüler aufpassen und sich um sie kümmern, genau diese Schule tut uns all diese schrecklichen Dinge jeden Tag an. Ich atmete tief durch und tippte weiter Wort für Wort in mein Handy, versuchte eine Nachricht zu formulieren, überarbeitete meinen Text, verwarf Sätze und schrieb neue und nachdem ich die Nachricht endlich fertiggetippt hatte, lag ich noch einige Sekunden zögernd und unsicher auf meinem Bett. Sollte ich es wagen? Diese Frage klingt so unnötig, so überflüssig, denn was hatte ich noch zu verlieren? Und doch stellte ich sie mir schrecklich oft. Mein Finger schwebte zitternd über dem „Senden" Button. Endlos lange Sekunden verstreichen.
Und dann drückte ich ihn.
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Plötzlich Erwachsen
Teen FictionFreiburg, 2023. Der 16-jährige Erik kommt zum neuen Schuljahr in die Oberstufe, in der er sich 2 Jahre lang auf sein Abitur vorbereitet. Er schöpft neue Hoffnung, endlich neue Freunde zu finden. Auf der Suche nach Anschluss in seiner Stufe nimmt er...