4. Anna

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In der darauffolgenden Pause beschloss ich, in die Mensa zu gehen, die sich im Gebäude direkt neben der Schule befand. Ich hatte großen Hunger und wollte mir etwas zu essen besorgen. Als ich über den großen, grauen Schulhof lief, auf dem neben ein paar Holzbänken ein heruntergekommener Spielplatz, ein paar Bäume und eine Tischtennisplatte standen, sah ich bereits durch die großen Glasfenster des Gebäudes, dass sich in der Mensa eine riesige Schlange gebildet hatte, die durch den ganzen Raum ging.
Ich öffnete die Glastüre und betrat den Raum. Große, helle, runde Lampen die von der Decke herunterhingen erleuchteten den riesigen, modern eingerichteten Raum. An der Essensausgabe am Ende des Raumes stand ein großer Mann im Hemd und kassierte das Geld von den Schülern, die sich etwas zu essen kauften. Reichte die Zeit, um noch pünktlich zum Sportunterricht zu kommen? Egal, ich musste unbedingt noch etwas essen. Ich lief die Schlange entlang, die sich durch den ganzen Raum erstreckte, bis an das Ende und stellte mich an. Es war schrecklich laut und eng, und ständig wurde ich hin und hergeschoben. Die Schlange war zwar riesig, allerdings ging es auch zügig voran, weshalb ich noch pünktlich zu Sport kommen sollte. Ich drehte mich um, um auf die Uhr zu schauen.

In genau diesem Moment betrat Anna die Mensa. 

Trotz, dass ich sie bisher nur einmal im Unterricht gesehen hatte, erkannte ich sie sofort wieder. Mein Herz fing sofort an höher zu schlagen. Sie kam immer näher auf mich zu, ich überlegte verzweifelt, was ich machen sollte. Dann stand sie vor mir.
„Hey.", sagte ich auf einmal. Wie war das jetzt so schnell passiert? Egal, darüber kann ich später nachdenken.
„Hey", sagte Anna. Sie steckte die Hände in ihre Hosentaschen und mustertete die lange Schlange, die hinter uns noch größer geworden war.
"Die könnten auch mal die zweite Theke aufmachen", sagte Anna genervt. Sie deutete auf die zweite Theke, die nicht besetzt war.
Ich nickte zustimmend.
"Oh ja, du hast Recht", sagte ich und nickte schnell.
Wir schwiegen, und das fühlte sich schrecklich unangenehm an.
„Na, wie war dein Tag?", fragte ich.
„Bisher ganz gut, und deiner?", antwortete sie, während sie ihren Geldbeutel aus der Hosentasche holte.
„Ja, mein Tag war auch gut, danke. Schnell, Erik, sag irgendwas, bevor es komisch wird. Einfach irgendwas!
Ich hab jetzt gleich Sport, und du?", sagte ich.
„Ich auch, bist du im 2-Stünder?", fragte sie und zum ersten Mal, seit wir in der Schlange nebeneinander gestanden hatten, breitete sich ein freundliches Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Ja, du auch?", fragte ich, nicht ohne Hoffnung in der Stimme.
„Ja", sagte sie und ein freudiges Kribbeln stieg in meinem Körper auf.
„Nice", sagten wir beide gleichzeitig und mussten lachen.
Die Schlange bewegte sich weiter.
„Was hast du als LKs gewählt?", fragte Anna nach ein paar Sekunden.
„Politik, Geschichte und Wirtschaft", sagte ich. „Und du?"
„Wirtschaft, Bio und Deutsch", antwortete sie.
„Cool.", sagte ich und griff in meine Hosentasche um mich zu versichern, dass mein Geldbeutel noch da war.
Wir liefen in der Schlange weiter. Für einen Augenblick war es still. Anna stellte sich kurz auf ihre Zehenspitzen, um das Ende der Schlange zu sehen. Dann schüttelte sie den Kopf.
Frag sie, was sie in ihrer Freizeit macht, Erik!!
„Sag mal, was machst du eigentlich in deiner Freizeit?", fragte ich.
„Ich lese und male gerne. Und ich mag Sport, vor allem Joggen.", sagte sie.
Außerdem verbringe ich sehr gerne Zeit mit meinen Freunden.", fügte sie hinzu und lächelte. „Und du?"
„Ich fahre gerne Skateboard. Und ich mag Tiere.", sagte ich.
"Achso, und ich interessiere mich für Politik", fügte ich noch schnell hinzu.
„Oha, nice!", sagte Anna. „Tiere sind toll.", sagte sie.
„Ja", antwortete ich und musste grinsen.
Die Schlange bewegte sich erneut.
„Wo wohnst du eigentlich?", fragte ich nach ein paar Sekunden.
„In Herdern, ziemlich nahe beim Bahnhof", sagte sie.
„Und du?"
„Ich wohne hier in der Innenstadt.", entgegnete ich, dann nahm ich mir ein belegtes Brötchen, sie ein Schokocroissant aus dem Regal und wir liefen weiter zur Kasse.
An der Kasse griff ich in meine Hosentasche und holte meinen Geldbeutel heraus, um zu bezahlen. Dann verließen wir die Mensa. Es waren nur noch wenige Minuten bis zum Sportunterricht. Glücklicherweise war die Sporthalle nicht allzu weit von der Schule entfernt. Wir beeilten uns aber trotzdem, denn in der ersten Stunde zu spät kommen hinterließ nie einen guten Eindruck. Ein paar Minuten sagten wir nichts. Die Gegend um die Schule herum war überall mit Autos zugeparkt. Dazwischen erstreckten sich ein paar Straßen, etwas weiter weg sah man die Baumwipfel eines angrenzenden Waldes. Wir liefen schweigend nebeneinander und ich überlegte verzweifelt, was ich sagen sollte, damit die Stille nicht zu unangenehm werden würde.
„Cooles Armband", sagte Anna plötzlich leise und zeigte auf das Armband an meinem Arm. „Danke", sagte ich und lächelte.
Sie krempelte ihre rote Lederjacke zurück und zeigte mir ein kleines Tattoo eines Regenbogens auf ihrem Unterarm. Ich lächelte und mir wurde ganz warm ums Herz.
„Sehr cool", flüsterte ich.
„Bist du...", setzte ich an.
In genau diesem Moment wurde ich von der Seite angerempelt. Eine Gruppe aus drei großen, kräftigen Jungs lief an uns vorbei.
„Digga, Erik, steh hier nicht so rum wie ein Lappen!", rief einer der drei mit seiner tiefen, brummenden, lauten Stimme. Anna schüttelte den Kopf, sie drehte sich blitzschnell um.
„Ey, Klappe jetzt!!", schrie sie.
Die drei Jungs lachten kurz, dann betraten sie die Sporthalle.
„Ist dir was passiert?", fragte Anna kurz.
Ich schüttelte den Kopf.
„Okay, gut.", sagte sie und lief auf die kleine, mit Graffiti beschmierte Glastüre der Halle zu.
Ich folgte ihr, dann betraten wir die Sporthalle.

Die Sporthalle befand sich in einem großen, grauen und dunklen Gebäude. Außen umwucherten Moos und hohe Gräßer das Gebäude, an den Wänden schlängelte sich Efeu hinauf. Innen hallten die Schritte auf den kalten Steinfließen durch den langen Gang. Gleich sollte ich merken, dass die Jungs, die immer nur blöde Sprüche von sich gaben doch noch da waren. Ich bog links ab, den anderen hinterher in die Umkleidekabine. Meine Hand lag bereits auf der Türklinke, als von drinnen ein lautes Auflachen ertönte.
"Michael hat einen Ständer", schrie plötzlich eine Stimme.
"Er geht gleich in die andere Umkleidekabine zu den Mädels", rief eine andere Stimme.
"Höhö, der Micha geht die Mädels klären, so ein Macher!", rief eine dritte Stimme.
„Micha stinkt", brüllte die erste Stimme.
Kurz darauf ertönte lautes, bösartiges Gelächter. Ich wollte da ehrlich gesagt nur ungerne rein. Doch leider blieb mir keine Wahl, also öffnete ich die Türe. Drinnen standen drei Jungs, die lachend auf Michael zeigten, der sich auf der Bank zusammenkauerte und die Jungs erschroken anblickte. Was die Jungs behauptet hatten, war übrigens gelogen. Doch das war ihnen offensichtlich egal. Ich kannte Michael kaum, ging zwar in die selbe Stufe mit ihm doch hatte keinen Kontakt mit ihm. Trotzdem tat er mir leid.



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