8. Tanzen

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Am Freitagabend, in der gleichen Woche, der mir die gesamte Woche unerreichbar geschienen hatte, schloss ich, als ich von der Schule nach Hause kam die Wohnung auf, um mich für die Party bei Jan fertig zu machen. Es war schon 18:00, ich hatte noch eine Stunde Zeit, bis die Party anfing, deswegen musste ich mich etwas beeilen. Ich zog mein Handy aus der Tasche, entsperrte es und öffnete den Standort aus der Stufengruppe in Google Maps. 30 Minuten zu Fuß. Ich zog mir ein kariertes Hemd an, dazu eine blaue Jeans mit Löchern und weiße Turnschuhe. Die Haare sahen noch okay aus, also schnappte ich mir noch meinen Geldbeutel und mein Handy und machte mich auf den Weg. Langsam wurde ich etwas nervös. Es war eine seltsame Art der Nervosität. Eine Nervosität, die ich nicht kannte. Ich wusste nicht, was mich erwartete, auf Partys war ich sowieso selten.

Ich begann zu laufen, folgte meinem Handy und überquerte eine Straße nach der anderen. Es war bereits dunkel, der Mond und die Sterne leuchteten am Himmel. Um mich herum erstreckten sich lange Reihen aus Häusern, die von Straßenlaternen und graffitibeschmierten Stromkästen unterbrochen wurden. An manchen Kreuzungen kreuzten ein paar kleine, süße Katzen meinen Weg. Die Bäume an den Straßenrändern bildeten mit dem Licht der Straßenlaternen Schatten, als ich meine Kopfhörer kurz abnahm, um mich zu orientieren hörte ich das leise Geräusch von einer Eule. Nach einiger Zeit schickte mich Google Maps in eine Seitengasse, dann in noch eine, so langsam spürte ich den Boden vibrieren. Ich hörte aus der Ferne das Lied „Ich geh heut' nicht mehr tanzen", von AnnenMayKantereit, steckte mein Handy in die Hosentasche und lief der Musik entgegen. Die Musik wurde immer lauter, ich stand nun vor einem riesigen Hochhaus. Ich zog mein Handy aus der Tasche um nachzusehen, ob ich hier richtig war. Mein Standort auf dem Handy stand genau auf dem kleinen Punkt, der die Adresse zeigte, zu der ich musste. Von hier unten hörte man leise Stimmen aus der Wohnung, ich machte vorsichtig einen Schritt auf die Türe zu.

Für einen Moment zögerte ich.

Sollte ich wirklich hineingehen? Sah ich gut genug aus? Dann, nach einigen Sekunden voller Zweifel atmete ich ein paar Mal tief durch und beschloss, es zu versuchen, auch wenn es mich unglaublich viel Überwindung kostete. Ich bewegte meine Finger über den Knopf der Klingel. Und dann drückte ich ihn. Für ein paar Sekunden hörte ich nur die Musik aus der Wohnung. „Jo, was is?", grölte plötzlich eine Stimme aus dem kleinen Lautsprecher neben den vielen Klingeln. „Hey, ich bin's, Erik!", gab ich zurück. Dann vibrierte die Tür und ich stand im Treppenhaus. Schnell lief ich die Treppe hoch, immer der Musik nach. Dann öffnete ich die angelehnte Türe und stand in Jans Wohnung. Die Musik war nun extrem laut, das war ich nicht gewohnt. Die Vibrationen des Bodens machten mich noch unruhiger. Ich lief etwas weiter, in die Wohnung wo ich im Gedränge viele Leute sah, die zwar in meine Stufe gingen, die ich jedoch nicht näher kannte. Am Rand des Gedränges standen ein paar Leute die mir bekannter vorkamen, ich konnte Mike und Anna erkennen. Es lief Partymusik, noch viel mehr AnnenMayKantereit und jede Menge deutscher Indie, ich liebte die Musik dieser Band. Alle anderen hatten einen Drink in der Hand, also beschloss ich mir auch einen zu besorgen. Ich nahm meinen Geldbeutel aus der Tasche, lief auf die Bierbank zu, die mit einer zusammengeklebten Tischdecke als Bar diente, doch an der Bar stand – Isabel. „Na, Erik mein lieber?", sagte sie sarkastisch als sie mich sah. Ich beschloss nicht darauf einzugehen, sondern ihren Kommentar einfach zu ignorieren. „Eine Cola bitte", sagte ich knapp und trocken. „Eigentlich 2 Euro, für dich 2,50", sagte Isabel und lachte. „Nö", sagte ich, grinste mindestens genauso fies wie sie, legte ihr ein 1 Eurostück hin, schnappte mir eine Cola und verschwand wieder ins Gedränge.

Ich lief hinüber, zu Mike und Anna. Mike und ich begrüßen uns mit einem Handschlag. Anna und ich haben uns kurz die Hand. Sollte ich Anna ansprechen? Eigentlich sind Partys der perfekte Zeitpunkt, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Doch irgendetwas hielt mich zurück, ich wusste selbst nicht genau was. Ich bewegte mich mit den anderen im Rhythmus der Musik. Dann beschloss ich, es zu versuchen. Ich drehte mich zu Anna. Mike stand nun etwas abseits von uns. „Hey, na?", sagte ich. Anna lächelte und stellte sich etwas näher zu mir. „Hey, alles gut?", sagte sie vorsichtig. „Joa, und bei dir alles gut?", entgegnete ich. „Ja", sagte sie „Jetzt schon". Ich lächelte. Als der „Vietnamesisch neben dem Bett" Teil im Song kam, begannen immer mehr Leute zu tanzen. Es war schon irgendwie nice. Die Vibrationen der Bassbeats wurden immer lauter und heftiger, brachten den Fußboden zum Schwingen, die Leute tanzten alle ausgelassen und fröhlich, ich schloss mich ihnen an. Warum war ich auf einmal so entspannt damit? Ein weiterer Junge stellte sich zu uns. Ich kannte ihn nicht, aber das war egal, denn hier auf der Party verstand sich sowieso jeder mit jedem. 

So langsam bekam ich Durst, ich holte mir nochmal etwas zu trinken. Als ich zurückkam, sah ich, wie sich Anna mit dem Typen unterhielt, der sich zuvor zu uns gestellt hatte. Die beiden standen sich gegenüber, und sahen aus, als wären sie sehr stark in das Gespräch vertieft. Schnell wandte ich meinen Blick ab. „Alles gut?", fragte Mike auf einmal. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er neben mir stand. „Ja", entgegnete ich schnell und versuchte das seltsame Gefühl in meinem Magen zu verdrängen. Mike nahm meinen Arm und zog mich ein paar Meter weg von den beiden. „Is es deswegen?", fragte er und blickte kurz zu Anna und dem Jungen hinüber. „Wegen was?", fragte ich irritiert und runzelte die Stirn. Er nickte leicht mit dem Kopf in Annas Richtung. Ich blickte hinüber und sah, dass die beiden nun sehr nahe beieinanderstanden. Noch näher als davor. Ich seufzte und nickte. „Ja", sagte ich leise. Mike schwieg für ein paar Sekunden und meine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf die Musik. „Mach dir nichts draus.", meinte er schließlich. Ich nickte. Sowas ist immer leichter gesagt als getan, dachte ich mir. „Okay...", sagte ich. „Wollen wir wieder..." Mike nickte. 

Wir schlossen uns dem Rest der Gruppe an und begannen wieder zu tanzen, aber dieses Mal war es anders, irgendwie fühlte es sich komisch an. Anna und der Junge standen nichtmehr beieinander, sie hatte sich wieder zu uns gestellt und tanzten mit uns. Doch ich spürte, dass da irgendwas komisch war und genauso fühlte ich mich. Es war halb 12, als die Party zum ersten Mal etwas eskalierte. Einer rannte schnell auf die Toilette, kurz darauf hörte man jemanden würgen, joa...den Rest könnt ihr euch denken. So langsam begannen die ersten Leute zu taumeln, zu schwanken, zu grölen. Wird das so ne Absturzparty, wo nachher die Polizei kommt, wegen Ruhestörung? So langsam wurde mir schwindelig wegen der Lautstärke. Sollte ich nach Hause gehen? Aber, das war doch komisch, oder? Ich grübelte ewig darüber, was ich tun sollte, doch niemand anderes sollte meine Überforderung bemerken, deswegen überspielte ich sie einfach und tanzte weiter, so gut ich konnte. Immer mehr Leute begannen laut und falsch die Songtexte zu grölen, so langsam merkte ich, dass mir alles zu viel wird. Ich musste hier raus, sofort! Keine Sekunde länger konnte ich es hier aushalten. Übelkeit stieg in meinem Körper auf, mir wurde schwindelig, ich griff nach der hölzernen Bierbank neben mir und stützte mich ab. „Ähm Mike, ich geh glaub ich mal heim...", sagte ich zu Mike. Er sah mich etwas irritiert an, dann nickte er. „Ähm, okay...?", sagte er etwas zögernd. „Ist irgendwas?" „Ne, nicht wirklich. Ich bin nur müde", entgegnete ich. „Okay, dann bis Montag?", sagte Mike etwas irritiert. „Bis Montag", sagte ich und lief zügig durch das Gedränge aus dem Raum. 

Dann stand ich im Treppenhaus. Ich brauchte einige Minuten, um wieder richtig Luft zu bekommen. Es war zu viel für mich gewesen. Ich lief die Treppen hinunter, öffnete die Haustüre und stand auf der Straße. Durchatmen, einmal, zweimal, dreimal. Ich zog mein Handy aus der Tasche, gab den Standort von zuhause ein und trat dem Nachhauseweg an. 




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