34. Therapie

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Ich musste es versuchen, entschied ich. Ich musste die Therapie machen. Heute war das Erste Gespräch und ich war schrecklich nervös. Immer wieder überlegte ich umzukehren und die Angst gewinnen zu lassen. Doch irgendetwas hielt mich davon ab, aufzugeben. Ich konnte jetzt nicht aufgeben, ich durfte jetzt nicht aufgeben. In den letzten Wochen hatte ich es so weit geschafft, und gleichzeitig kam ich mir so vor, als würde ich mich einfach nur dumm anstellen und mich in die Sache hineinsteigern. Doch gleichzeitig gab es genügend Anzeichen dafür, dass ich dringend Hilfe brauchte. Ich erinnerte mich an die Worte meiner Großeltern. „Lass dich nicht unterkriegen", sagte meine Oma immer. „Wenn du Hilfe brauchst, dann hast du das Recht sie einzufordern." Ich nickte entschlossen und drückte auf den Halteknopf der Straßenbahn. Das Fahrzeug wurde langsamer, hielt an und ich stieg aus. Vor mir erstreckte sich ein großes Gebäude. Ich ging ein paar Schritte darauf zu und blieb davorstehen. „Ärztezentrum Freiburg", stand auf dem großen, weißen Schild über der gläsernen Eingangstüre. Ich legte eine Hand auf die Türklinke. Sollte ich es wirklich wagen? Ich zog die Hand zurück. Nein, aufgeben konnte ich nicht, aber weiterkämpfen auch nicht. Ich berührte die Türklinke erneut. Dann atmete ich ein paar Mal tief durch und drückte die Türklinke nach unten.

Ich stand im Eingangsbereich des Gebäudes.

Der Duft von Desinfektionsmittel stieß mir entgegen. Ich ging ein paar Schritte in den Raum, dort sah ich eine gestresst wirkende Frau am Tresen der Rezeption. Für ein paar Sekunden stand ich bewegungslos vor dem Tresen. „Hallo", sagte ich vorsichtig. Sie blickte nicht einmal auf und hackte mit ihren Fingern ununterbrochen auf die Tastatur ein. Ich zögerte. Sollte ich einfach wieder gehen? Nein, ich hatte es schon so weit geschafft, aufgeben war jetzt keine Option mehr. „Ich habe einen Termin bei Dr. Johnson", fuhr ich fort . Die Frau antwortete nicht, sie nickte nur kurz, immer noch blickte sie mich nicht ein einziges mal an, dann tippte sie etwas in den großen Computer ein der vor ihr auf dem großen Schreibtisch stand und fragte schließlich: „Erik Sommer?" Ich nickte. „Den Gang gerade aus, dann die 2. Türe rechts", sagte sie und deutete auf den Gang vor mir, in dem viele Türen zu verschiedenen Behandlungszimmern führten. Sofot wandte sie sich wieder ihrem Computer zu. Ich nickte und bedankte mich.

Eine Minute später stand ich vor dem Therapieraum. Meine Hand schwebte über der Türklinke. Immer wieder überlegte ich umzukehren. Doch ich erinnerte mich an die Worte meiner Großeltern. „Versuche es, mein Junge. Dein Zukünftiges Ich wird unglaublich stolz auf dich sein.", hatten sie gesagt. Plötzlich flog die Türe auf und ein großer Mann in einem weißen Hemd und blauer Jeans stand vor mir. Als er sah, dass ich mich ziemlich erschrocken hatte, lächelte er freundlich und trat einen Schritt zurück. Er streckte mir freundlich die Hand hin, lächelte erneut und sagte: „Herr Sommer?" Ich nickte und gab ihm ebenfalls die Hand. „Entschuldigen Sie, dass ich sie so erschreckt habe! Nehmen Sie gerne Platz", er deutete auf das Zimmer. Ich betrat den großen, weißen Raum. An der Wand hingen Bilder von Landschaften und Tieren, zwei Stühle und ein kleiner Tisch standen im Raum. An der Wand hing eine kleine, silberne Uhr. Der Raum war hell, zwei große Fenster ließen die wunderschönen Sonnenstrahlen von draußen in den Raum fallen. Neben den Fenstern hingen zahlreiche Medizinische Schaubilder und Poster, von denen ich kein einziges verstand. Dr. Johnson deutete auf den Stuhl, der seinem Gegenüberstand. "Nehmen Sie Platz", sagte er freundlich. Er griff nach dem Klemmbrett, das auf dem Tisch lag und setzte sich ebenfalls. Einige Sekunden blickte er mich aufmerksam und durchdringend, aber freundlich an, dann lächelte er. „Herr Sommer, soll ich Sie siezen oder dutzen?", fragte er. „Dutzen, bitte", antwortete ich. „Gut.", sagte er und fuhr fort. „Ich bin Dr. Michael Johnson", sagte er freundlich. „Bevor wir miteinander sprechen, muss ich dich darüber informieren, dass alles, was du mir hier erzählst, der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt. Das bedeutet, dass ich verpflichtet bin, niemandem vom Inhalt unserer Gespräche zu erzählen, außer wenn du in unmittelbarer Gefahr wärst. Hast du denn irgendwelche Fragen an mich?", erklärte er. Ich schüttelte den Kopf. „Was führt dich denn zu mir?", fragte er schließlich und schrieb etwas auf seine Blätter. Ich schwieg. 

Was sollte ich nun sagen? 

Bildete ich mir das alles vielleicht nur ein? Ein paar quälend lange Sekunden saß ich einfach nur da, dann platze es alles aus mir heraus.


Plötzlich ErwachsenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt