Die Straßenbahn summte und brummte schrecklich laut, es war Abend und bereits dunkel draußen. Ich hatte meinen Kopf gegen die Scheibe gelehnt. Der Wagon war nicht besonders voll, ich kam gerade aus der Stadt zurück. Mein Skateboard war in den letzten Tagen kaputt gegangen, weswegen ich ein Stück aus der Stadt herausgefahren war, um neue Rollen zu kaufen. Ich war bei der Heinrich von Stephan-Straße losgefahren und nun saß ich in der Linie 3, auf dem Weg zurück nach Hause. Die Bahn wurde langsamer und ich öffnete die Augen. Eigentlich hatte ich versucht etwas zu schlafen, doch bei dem Lärm, den die Lautsprecher die die Stationen ansagten verursachten, half es nicht einmal, die Augen zu schließen. Die Türen öffneten sich mit einem quietschenden Geräusch und die kalte Luft strömte in den Wagon. Über der gelb leuchtenden Lampe, die den Innenraum des Fahrzeugs erhellte, schwebten ein paar kleine Mücken. Ich atmete ein paar Mal die erfrischende Luft ein und bewegte meinen Kopf hin und her. Die Türe piepste und begann, sich langsam wieder zu schließen. Plötzlich sprintete ein Mädchen, ungefähr so groß wie ich auf die Straßenbahn zu und machte in letzter Sekunde einen Sprung in den Wagon. Aufgrund der Geschwindigkeit, mit der sie gerannt war, hatte sie sichtlich Mühe, nicht gegen das gegenüberliegende Fenster zu knallen, weswegen sie sich an einer der Metallstangen festhielt. Zuerst dachte ich, ich würde sie nicht kennen, doch kurz darauf merkte ich, dass es Lilly war, die eine kleine, schwarze Sporttasche über der Schulter trug. Plötzlich drehte sie sich zu mir um, als sie mich erkannte, breitete sich ein freundliches Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
„Hey, was machst du denn hier?", rief sie außer Atem und setzte sich auf den freien Sitzplatz neben mir.
„Hey, ich war Rollen für mein Skateboard einkaufen...", antwortete ich und zeigte auf das Skateboard, dass ich an die Wand des Wagons gelehnt hatte.
„Ah, okay. Ich war beim Sport", sagte sie.
Ich nickte und sah, dass Lillys Haare klatschnass geschwitzt waren.
„Uii, nice. Wie war's?", fragte ich und drehte mich ein kleines Stück zu ihr.
„Richtig anstrengend. Der Coach hat mich heute richtig gepusht.", sagte sie.
Sie war immer noch außer Atem und schnappte nach Luft.
„Aber es hat auch richtig Spaß gemacht.", fügte sie hinzu.
Ich nickte.
„Nice", meinte ich.
„Wie ging es dir heute Mittag noch, Finley?", fragte sie und stellte ihre Sporttasche, die sie auf ihren Schoss festgehalten hatte auf den Boden.
"Nächste Station: Johanneskirche", dröhnte der Lautsprecher.
„Es ging so.", gestand ich.
„Unser Gespräch hatte mich ziemlich aufgewühlt. Und das, was davor in der Pause passiert ist, auch.", sagte ich.
„Das verstehe ich", meinte Lilly und setzte die Kapuze ihres Pullovers auf.
„Aber mach dir um mich keine Sorgen. Ich weiß, dass du es total gut meinst, aber ich komme zurecht.", sagte sie.
Ich sagte nichts.
„Ist auch nicht böse gemeint, Finley. Ich denke nur, dass es wichtig ist, dass du jetzt erstmal auf deine Gesundheit achtest.", sagte sie.
Ich nickte.
„Nächste Station: Holzmarkt", schrie der Lautsprecher.
Irgendwo hatte sie schon Recht.
„Und zu dem, was in der Pause passiert ist...", sie schnaubte einmal kurz und schüttelte den Kopf. „Das nächste mal kommen die Typen nicht so einfach davon!"
Ich lächelte. Lilly war echt cool.
„Danke, Lilly", sagte ich. Sie machte eine abwinkende Handbewegung.
„Nicht dafür", sagte sie und grinste.
„Nächste Station: Bertholdsbrunnen", brüllte der Lautsprecher. Von der Station am Bertholdsbrunnen bis zu meiner Wohnung waren es gerade einmal 5 Minuten zu Fuß.
„Okay, ich muss gleich raus", sagte ich und nahm meinen Rucksack in die Hand.
Ich hatte nicht mehr viel Zeit, doch ich wollte Lilly unbedingt noch etwas sagen. Für ein paar Sekunden saß ich einfach nur komisch da und überlegte, wie ich formulieren konnte, was ich sagen wollte. Die Zeit drängte, ich musste also spontan sein.
„Lilly, wenn du aber doch mal Hilfe brauchst, dann schreib mir bitte, okay?", sagte ich.
Sie nickte und ich stand auf.
„Oder wenn du mal reden magst auch, ja?", fügte ich hinzu.
„Ja. Aber wie gesagt, ich komme zurecht.", sagte sie und rutschte ein bisschen zur Seite, damit ich aussteigen konnte.
„Okay.", sagte ich und stand auf.
„Dann bis morgen?", sagte sie.
Ich nickte.
„Bis morgen", sagte ich.
Die Straßenbahn hielt an und ich stieg aus.
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Plötzlich Erwachsen
Teen FictionFreiburg, 2023. Der 16-jährige Erik kommt zum neuen Schuljahr in die Oberstufe, in der er sich 2 Jahre lang auf sein Abitur vorbereitet. Er schöpft neue Hoffnung, endlich neue Freunde zu finden. Auf der Suche nach Anschluss in seiner Stufe nimmt er...