Kapitel 6

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Maja

Mit Theos Abgang wurde die Stimmung am Esstisch noch seltsamer, als sie es schon den ganzen Abend gewesen war. Ich wollte seine Eltern auf sein Verhalten ansprechen, wollte sie fragen ob er sonst mehr mit ihnen sprach und ob er normal aß. Es würde mich nicht verletzen, wenn es an mir lag, es würde mich viel mehr beruhigen. Denn wenn meine Anwesenheit bei diesem Essen nicht der ausschlaggebende Punkt war, hieß das im Umkehrschluss, dass etwas mit Theo ganz und gar nicht stimmte. Ich wollte sie fragen, doch es fühlte sich an, als würde ich damit eine Grenze überschreiten. Also unterhielt ich mich mit ihnen über andere Themen und tat so, als hätte Theo sich nicht höchst beunruhigend verhalten.

Nach dem Dessert konnte ich ohne schlechtes Gewissen verkünden, dass ich nun aufbrechen musste. Ich hatte ohnehin locker mit meinen Freunden verabredet, dass wir uns noch treffen wollten.

„Ich pack dir noch ein paar Stücke von dem Brownie ein", sagte Theos Mutter. „Dein Vater freut sich bestimmt."

Ich schenkte ihr ein aufrichtiges Lächeln. „Das ist lieb, danke! Ich würde mich noch kurz von Theo verabschieden. Ist sein Zimmer das gleiche wie früher?" Über ihr Gesicht fiel ein leichter Schatten, als sie den Kopf schüttelte. „Wir haben ihm hier unten ein Zimmer eingerichtet. Die Treppen... so erschien es uns einfacher", erklärte sie, offensichtlich niedergeschlagen. Ich nickte verständnisvoll und ließ mir von Theos Vater zeigen, in welchem Zimmer Theo jetzt wohnte. „Er wird nicht antworten, wenn du klopfst", warnte er mich vor. „Das tut er nie. Soll ich kurz schauen, ob er wach ist?"

„Ja, gerne", entgegnete ich, froh darüber nicht diejenige sein zu müssen, die unerlaubt in sein Zimmer marschierte. Theos Vater klopfte an der Tür, wartete kurz und drückte dann die Klinke herunter. „Theo? Maja geht jetzt."

„Schön für sie", hörte ich Theos Stimme.

„Danke, ab hier komm ich klar", sagte ich zu seinem Vater, der mir ein entschuldigendes und etwas hilfloses Lächeln schenkte und dann zurück in Richtung Esszimmer ging. Ich trat an seine Stelle in den Türrahmen. Theo lag auf seinem Bett, vollständig bekleidet, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und starrte an die Decke. „Darf ich reinkommen?" Ich hielt es für höflicher zu fragen, doch als ich keine Antwort bekam, ging ich einfach hinein. Wenn er wirklich etwas dagegen hatte, hätte er das mit Sicherheit geäußert. Ich schloss die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen.

„Dein Knie ist richtig im Arsch, oder?"

Theo gab ein Geräusch von sich, das entfernt an ein Schnauben erinnerte. Er wollte nicht darüber reden und ich konnte es verstehen. Nichtsdestotrotz musste ich wissen, wie ernst die Sache war und was genau diese Verletzung für ihn und seine Karriere auf dem Eis bedeutete.

„So im Arsch, dass du nie wieder spielen kannst? Oder musst du dich nur auf eine längere Pause einstellen?" Auch die zweite Option war bestimmt nicht ideal, aber lange nicht so katastrophal wie die erste. Theo gab mir keine Antwort. Seufzend stieß ich mich von der Tür ab und ging ein paar Schritte auf ihn zu. „Du willst nicht mit mir reden und das musst du auch nicht", sagte ich schulterzuckend. „Aber falls du diesen Entschluss ändern solltest, bin ich jederzeit erreichbar."

Komplett unerwartet, richtete Theo sich plötzlich auf. „Was soll das werden?", fragte er, als hätte ich ihn gerade mit einer Waffe bedroht. „Ich brauche dein Mitleid nicht. Es reicht, dass meine Eltern mich behandeln wie ein rohes Ei."

„Ich habe nie etwas von Mitleid gesagt. Ich habe dir nur ein offenes Ohr angeboten."

Theo schnaubte schon wieder. „Ich brauche kein offenes Ohr. Ich brauche einen verdammten Zeitumkehrer."

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt