Kapitel 14

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Maja

Gerade mal ein paar Stunden waren vergangen und ich bereute es bereits, Theo meine Hilfe angeboten zu haben. Denn anscheinend ging er nun davon aus, mir mit der gleichen Hilfsbereitschaft begegnen zu müssen. Aber da täuschte er sich. Ich brauchte seine Hilfe nicht und ich wollte seine Hilfe nicht. Es war allergrößtes Pech, dass der Anruf ausgerechnet in seiner Anwesenheit gekommen war und er bemerkt hatte, dass dieser Anruf mich stark beschäftigte. Meine Notlüge schien er nicht zu glauben.

Ich hätte es wissen müssen, schon beim Anblick der unbekannten Rufnummer. Doch es war schon so viel Zeit vergangen, dass ich nicht einmal mehr an die Sache gedacht hatte, geschweige denn Hoffnung gehabt hatte, dass er sich melden würde. Die heutige Erkenntnis kam überraschend. Ich war mir nicht sicher, wie ich mit dem Wissen umgehen sollte und ob ich überhaupt mehr wissen wollte. Ich wusste lediglich, dass ich Theo nicht in die Sache mit hinein ziehen würde. Er hatte schon vor langer Zeit entschieden, kein Teil meines Lebens mehr sein zu wollen und daran würde sich nun auch nichts mehr ändern. Wenn ich kein Mitleid mit ihm haben durfte, galt das gleiche auch umgekehrt.

Also setzte ich ihn zuhause ab, ohne ihm die Wahrheit über den Anruf zu erzählen. Sollte er doch glauben, was er wollte. Anschließend fuhr ich noch eine Weile ohne Ziel durch die Gegend, einfach um nicht direkt nach Hause zurück zu müssen. Wusste mein Vater mehr als ich? Diese Frage beschäftigte mich seit Wochen und war heute mit neuer Intensität wieder in mir erwacht. Aber ich konnte und wollte sie ihm nicht stellen, weil ich mir nicht sicher war, ob ich mit den Konsequenzen klar kommen würde.

Am Sonntag nutzte ich das sonnige Wetter, um mit Sienna und Josie etwas außerhalb der Stadt wandern zu gehen. Die Ablenkung tat mir gut. Im Gegensatz zu Theo wussten die beiden nichts von dem Anruf und konnten dementsprechend auch keine Fragen dazu stellen. Fragen hatten sie dennoch, allerdings drehten diese sich um Theo und den weiteren Verlauf des Freitagabends.

„Ich werde ihn nicht mehr irgendwohin mitnehmen, egal was du in Zukunft vorschlägst", sagte ich zu Josie. „Es ist anstrengend, ständig mit ihm diskutieren zu müssen."

„Diskutieren?", fragte Sienna überrascht. „Er hat doch fast nichts gesagt."

Schnaubend schüttelte ich den Kopf. „Während ich dabei ward nicht, das stimmt. Aber sobald wir alleine waren, hat er seine miese Laune rausgelassen. Gestern war es schon etwas besser, da hat er sich wenigstens entschuldigt. Trotzdem... ich kann ihn-"

„Gestern?" Josie sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und auch Sienna wirkte irritiert. „Habt ihr euch noch einmal getroffen?"

„Er war schon wieder bei uns auf dem Hof", murmelte ich. „Er meint, die Landluft würde ihm guttun oder irgendwie so etwas."

Eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her, doch ein Seitenblick zeigte mir, dass die beiden angestrengt nachzudenken schienen. Schließlich sagte Sienna mit einem Hauch Empörung in der Stimme: „Ich finde das ziemlich unmöglich, um ehrlich zu sein."

„Was genau?"

„Naja, seit zwei oder drei Jahren behandelt er die quasi wie Luft, obwohl ich früher richtig eng miteinander befreundet ward. Und jetzt, wo er hier sonst niemanden hat, hängt er sich wieder an dich ran."

Überrascht blieb ich stehen und sah sie an. Diesen Aspekt hatte ich bisher überhaupt nicht bedacht, doch natürlich hatte sie nicht unrecht. „Er hängst sich nicht an mich ran", widersprach ich, während ich unsere letzten Begegnungen und Gespräche noch einmal Revue passieren ließ. „Ich glaube ihm wäre es lieber, wenn er mich nicht so oft sehen würde."

Sienna zuckte mit den Schultern, als sei sie anderer Meinung, wollte es aber nicht aussprechen. Meine Freunde hatten sich damals treu hinter mich gestellt, obwohl es nicht einmal einen richtigen Streit zwischen Jacob und mir gegeben hatte. Durch unterschiedliche Interessen hatten wir uns auseinander gelebt und Jacobs Verhalten war schlussendlich ausschlaggebend für das endgültige Ende unserer Freundschaft gewesen. Jacob hatte sich von unserer ganzen Gruppe entfernt, doch mit niemandem war die Freundschaft vorher so eng gewesen, wie mit mir.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt