Kapitel 66

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Theo

Mein Bruder schaltete sehr schnell. Als er sah, dass ich keinerlei Anstalten machte, mich der kleinen Gruppe zu nähern, verabschiedete er sich von Jacob und Maja, bevor er auf mich zu ging.

„Alles gut bei dir?", fragte er mit gerunzelter Stirn. Für eine Weile starrte ich ihn einfach nur an, ohne in irgendeiner Weise auf seiner Frage zu reagieren. Obwohl ich Nate zuletzt am Freitag gesehen hatte, fühlten sich diese wenigen Tage an wie eine Ewigkeit. So viel war seitdem passiert, positives wie negatives. Alles hatte sich geändert. Erst einmal. Und dann noch ein zweites Mal.

„Hallo? Theo?"

Ich zuckte zusammen. „Was?"

Nate schüttelte sichtlich verwirrt den Kopf. Ich rechnete mit einem Schwall an Fragen, doch stattdessen sagte er: „Komm, lass uns fahren."

Ohne einen weiteren Blick in Majas Richtung zu riskieren, folgte ich meinem Bruder zum Parkhaus. Wir schafften es zum Auto, aus dem Parkhaus heraus und auf die Interstate. Mir entging das stetige Trommeln von Nates Fingern auf dem Lenkrad nicht und ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er das Schweigen brach.

„Lass es raus, bevor du platzt", riet ich ihm schließlich, wohl wissend, dass ich ihm längst nicht alle Fragen beantworten wollte oder konnte.

Nate stieß hörbar die Luft aus. „Freitag wolltest du mir nicht sagen, weshalb du ausgerechnet mit Maja für vier Tage nach Florida fliegst und ich habe akzeptiert, dass die Details mich nichts angehen. Ich nehme an, dass du mir noch immer nicht sagen wirst, was ihr dort gemacht habt?"

Er warf mir einen kurzen Blick zu und ich nutzte den Moment, um meinen Kopf zu schütteln.

„Alles klar", fuhr Nate fort. „Möchtest du mir dann vielleicht erklären, weshalb Jacob und ich zum Flughafen gefahren sind, wenn ein Auto definitiv ausgereicht hätte?"

Was sollte ich ihm sagen? Dass ich Maja zugetraut hatte, mich am Flughafen stehen zu lassen? Dass ich mir nicht sicher war, wie ich guten Gewissens Smalltalk mit Jacob halten sollte, nachdem ich seine Schwester erst entjungfert hatte und ihr dann in den Rücken gefallen war?

„Möchte ich nicht, nein", entgegnete ich, woraufhin sich sofort mein schlechtes Gewissen meldete. Nate hatte nun schon zum zweiten Mal die Fahrt zum Flughafen auf sich genommen, ohne auch nur einen Moment zu zögern. Ganz davon zu schweigen, dass ich meine Familie, genauso wie Maja, nach dem Arztbesuch am Dienstag mit allen Mitteln von mir gestoßen hatte.

„Tut mir leid", schob ich deshalb hinterher, ohne meinen Bruder anzusehen.

„Was tut dir leid?"

Alles.

Seufzend lehnte ich meinen Kopf gegen die Scheibe der Beifahrertür. „Ich möchte nicht so sein. So undankbar, verschlossen und... und egoistisch. Ich hasse diese ständige Wut, du kannst dir nicht vorstellen wie sehr. Ich möchte, dass das aufhört."

Mein Bruder schwieg. Vielleicht musste er erst einmal den Schock über meinen plötzlichen Gefühlsausbruch überwinden.

„Welche Rolle spielt Maja bei der ganzen Sache?"

Das war nicht die Frage, mit der ich gerechnet hatte. Ich versuchte mir eine Antwort zurechtzulegen, dich nicht gelogen war und gleichzeitig nicht zu viel verriet, aber Nate unterbrach meine Gedanken, in dem er hinzufügte: „Ich weiß noch, wie unzertrennlich ihr früher wart und ich weiß auch, dass ihr seit ein paar Jahren kaum noch miteinander sprecht. Und jetzt hängt ihr plötzlich ständig miteinander rum und fliegt zusammen in einen anderen Staat. Kannst du... kannst du mit ihr reden? Besser als mit uns?"

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt