Kapitel 8

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Maja

Ich bot Theo nicht an, ihn nach Hause zu fahren. Das nett gemeinte Angebot würde er ohnehin nur fälschlicherweise als Mitleid wahrnehmen. Wenn er sich den Rückweg nicht zutraute und mich fragte, ob ich ihn fahren konnte, würde ich das natürlich tun. Aber Theo fragte nicht. Nachdem ich ihm Lotties Geschichte erzählt hatte, spielte ich kurz mit dem Gedanken, das Gespräch wieder auf seine Verletzung zu lenken. Aber das Risiko, seine Stimmung damit wieder nach unten zu ziehen, war mir zu groß. Da ich ohnehin noch die Weidezäune kontrollieren und bei Bedarf reparieren musste, verabschiedete ich mich von Theo, der weiter bei Lottie stehen blieb.

Als ich eine halbe Stunde später zurück zu der Stelle des Zauns kam, war er nicht mehr da. Ich überlegte, ob ich ihm folgen sollte. Ich bezweifelte, dass er seinen Eltern gesagt hatte, wohin er ging. Sollte er also auf dem Rückweg stürzen, würde es eine Weile dauern, bis ihn jemand fand und ihm helfen konnte. Aber wenn Theo mitbekam, wie ich ihn beobachtete, würde der aktuelle Frieden zwischen uns zweifellos ein jähes Ende finden. Also entschied ich mich dagegen und hoffte, dass er den Weg schaffen würde.

Theos heutiger Gefühlsausbruch hatte meine Sorge um ihn nicht verringert, ganz im Gegenteil. Obwohl ich froh war, dass er überhaupt Gefühle zeigte und nicht alles in sich hinein fraß, befürchtete ich, dass sich die Situation in den nächsten Tagen und Wochen nur noch verschlimmern würde, wenn sich der Zustand seines Knies nicht verbesserte. Ich war kein Arzt, ich kannte mich mit derartigen Verletzungen nicht aus. Ebenso wenig wusste ich, ob Theo die Ratschläge seiner Ärzte wirklich befolgte oder ob er sich aus Frustration überanstrengte und die Heilung damit weiter hinauszögerte. Das wäre dumm, keine Frage. Aber in seiner Verzweiflung waren Theo derartige Fehler durchaus zuzutrauen.

Es sollte mich überhaupt nicht interessieren. Wir waren keine Freunde mehr. Das änderte jedoch nichts daran, dass Theo mir niemals egal sein würde. Hinzu kam die Tatsache, dass er heute offen und ehrlich mit mir gesprochen hatte. Wenn ich es schaffte, ihn dazu zu bringen, mir wieder zu vertrauen, konnte ich vielleicht doch einen Weg finden, um ihm zu helfen.

Theo

Meine Beine waren müde. Nach mehreren Tagen, an denen ich sie kaum belastet hatte, und der heutigen Physiotherapie sollte mich das eigentlich nicht überraschen. Ich pausierte auch auf dem Rückweg wieder auf dem umgestürzten Baumstamm, bevor ich mich unter Schmerzen nach Hause schleppte. Die Treppenstufen zur Veranda wirkten auf einmal wie eine unbezwingbare Hürde, weshalb ich kurzerhand auf ihnen Platz nahm. Die Sonne war doch noch einmal hervor gekommen und verschwand nun hinter den Baumwipfeln und tauchte den Vorgarten in ein angenehmes Licht.

Ich hatte es geschafft.

Bis zum Hof und wieder zurück. Mit Pause, aber ohne Hilfe. Doch anstatt mich darüber zu freuen, überkam mich plötzlich Angst. Was, wenn ich mir zu viel zugemutet hatte? Was, wenn ich mein Knie morgen früh gar nicht mehr würde belasten können? Stöhnend vergrub ich mein Gesicht in den Händen. Als sei diese Angst nicht schon schlimm genug, wurde nun auch ein Gefühl der Scham in mir wach. Was zur Hölle hatte mich dazu getrieben, Maja mein Herz auszuschütten? Sie mochte mich nicht einmal, hatte lediglich Mitleid mit mir und ich jammerte ihr etwas vor, womit ich dieses Mitleid auch noch verstärkte.

Ich war ein Wrack, physisch und psychisch. Und ich hasste es. Ich wollte mein Leben zurück. Meinen Sport, meine Freunde, meine Zukunft.

„Ach, hier steckst du." Ich nahm mein Gesicht nicht aus meinen Händen. Vielleicht würde Nate einfach wieder abhauen, wenn ich ihn nicht beachtete. Würden meine Eltern ihn jetzt immer losschicken, um nach mir zu suchen? Ich brauchte keinen verdammten Babysitter. Und schon gar nicht Nate.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt