Theo
Sofern Maja nicht über mehr schauspielerisches Talent verfügte als ich ihr zutraute, wusste sie nicht, was in der Nacht passiert war. Sie wusste nicht, wie kurz ich davor gewesen war, sie zu küssen und ich musste mich zusammen reißen, um nicht vor Erleichterung laut zu lachen.
Ja, sie hatte sich enger an mich geschmiegt, aber das war eine unterbewusste Handlung im Schlaf gewesen, keine willentlich getroffene Entscheidung. Dennoch war mir nicht entgangen, wie sie eben meinen nackten Oberkörper gemustert hatte. Das harte Training in den Monaten vor meinem Unfall hatte sich definitiv ausgezahlt, denn noch immer waren die antrainierten Muskeln weit davon entfernt, sich abzubauen.
Nach der Reaktion meines Körper auf Majas Nähe, sollte ich mich für's Erste besser von ihr fern halten, doch das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ganz egal wie oft sie betonte, dass es ihr gut ging, ihre Tränen von gestern Abend und die Worte, die sie in der Nacht von sich gegeben hatte, bewiesen das Gegenteil. Maja zeigte keine Schwäche. Lieber fraß sie den Kummer in sich hinein, als zuzugeben wie sehr sie unter etwas litt. Dass sie in meiner Anwesenheit geweint hatte, zeigte, wie sehr sie die Sache mit ihrer Mutter belastete und aus diesem Grund würde ich sie nicht alleine nach Hause fahren lassen. Natürlich konnte ich sie nicht dauerhaft im Blick behalten, aber wenigstens ein paar Stunden lang. So lange, bis sie mich vom Hof jagte, weil ich ihr zu sehr auf die Nerven ging.
„Möchtest du darüber reden?", fragte ich, sobald wir nebeneinander im Auto saßen.
„Worüber?"
Ich konnte nicht einschätzen ob Maja gerade vom Autofahren abgelenkt war, unwissend tat oder wirklich keine Ahnung hatte, was ich meinte. „Über deine Mutter", entgegnete ich. „Über alles, was du mir gestern erzählt hast."
„Ich habe dir doch schon alles erzählt, was gibt es da noch zu reden?"
„Du hast mir erzählt, was du herausgefunden hast. Aber nicht, wie du damit umgehen wirst."
Maja bog bereits auf den Feldweg ab, der zum Hof führte. Viel Zeit blieb mir nicht, bevor sie arbeiten und ich mich anderweitig beschäftigen musste.
„Ich weiß nicht, was du von mir hören willst, Theo."
Das wusste sie mit Sicherheit, sie wollte bloß nicht darüber sprechen. Eine Entscheidung, die ich respektieren sollte, aber alles in mir sträubte sich dagegen. „Wirst du mit deinem Vater darüber sprechen?", fragte ich deshalb. „Oder mit Jacob? Jetzt, wo du ihre Adresse hast... wirst du ihr schreiben? Sie besuchen?"
Mit einem Hauch Aggressivität brachte Maja den Wagen zum Stehen und würgte den Motor ab. „Warum sollte ich Kontakt zu jemandem aufnehmen, der nichts mit mir zutun haben möchte?" Obwohl sie mich herausfordernd und mit einer gewissen Kälte anschaute, meinte ich in ihrem Blick nach wie vor auch Schmerz und Trauer zu erkennen. „Und was Jacob und meinen Vater betrifft", fuhr sie fort, „weiß ich selber noch nicht, was ich machen soll. Einerseits verdienen sie die Wahrheit, andererseits möchte ich sie nicht noch mehr verletzen."
„Bist du dir sicher, dass dein Vater nichts davon weiß?" Ich bereute die Frage, sobald ich sie gestellt hatte. Sobald ich Majas Blick sah, diese Mischung aus Wut und Angst. „Natürlich weiß er das nicht", antwortete sie, hörbar bemüht das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. „So etwas würde er niemals vor mir geheim halten."
„Auch nicht aus denselben Gründen, aus denen du es jetzt vor ihm geheim hältst? Um dich zu schützen?"
„Er weiß es nicht", presste Maja zwischen den Zähnen hervor und stieg aus dem Wagen. Ich entschied, dass es keine gute Idee wäre, das Thema weiter zu verfolgen und ging ihr lieber schweigend hinterher in Richtung Kuhstall. Während Maja ihrer Arbeit nachging, setzte ich mich auf einen Heuballen und widmete mich der Nachricht, die Wyatt mir gestern Abend geschrieben hatte, nachdem er wieder in Michigan gelandet war. Darin betonte er noch einmal, dass er keinen seiner Ratschläge böse gemeint hatte und es ihm wirklich nur um meine Gesundheit ging. Dass er angeblich ohne mich nur halb so gut spielte, kaufte ich ihm nicht ab, doch ich wusste den guten Willen hinter der Lüge zu schätzen, weshalb ich ihm in meiner Antwort versicherte, dass ich ihm nichts übel nahm und mir die Sache mit der Untersuchung überlegen würde. Danach öffnete ich zum ersten Mal seit langer Zeit Instagram und bereute es sofort, denn die Flut an Benachrichtigungen legte beinahe mein Handy lahm. Mein Profil war öffentlich, weshalb die Follower Zahl im letzten Jahr rasant angestiegen war, insbesondere dank der Verlinkungen vom offiziellen Mannschaftsaccount. Die Privatnachrichten ignorierte ich grundsätzlich. Die meisten Kommentare unter meinem Bildern waren schmeichelhaft, aber die Profile der Kommentierenden besuchte ich selten. Im Gegensatz zu einiger meiner Mannschaftskollegen hatte ich wirklich kein Interesse daran, mir durch mein Sportler-Dasein irgendwelche Vorteile bei Frauen zu verschaffen. In erster Linie postete ich auf meinem Profil Videos vom Training oder von Spielen, in der Hoffnung, dadurch das Interesse von NHL Scouts zu wecken. Doch damit war es jetzt ohnehin vorbei, weshalb ich den Account eigentlich auch direkt löschen konnte. Was ich natürlich nicht über's Herz brachte. Stattdessen ignorierte ich sämtliche Benachrichtigungen und schloss die App wieder.

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FALLEN FROM GRACE
RomantizmEr hatte einen Plan. Einen Traum. Eine Zukunft. Jetzt steht er vor den Trümmern - und ihr. Theo war immer der, der wusste, wohin er wollte: Eishockey, Leistung, Erfolg. Für alles andere - sogar für Maja, seine einst beste Freundin - blieb irgendwann...