Maja
„Wenn du alles machen, alles erreichen könntest. Wenn du sein könntest, wer immer du willst... was würdest du dann mit deinem Leben anstellen?"
Es waren mehrere Stunden vergangen, mehrere Waffeln verspeist und inzwischen war ich damit beschäftigt, den Hühnerstall nach einiger Zeit mal wieder gründlich zu reinigen. Keine schöne Arbeit und sie wurde auch dadurch nicht besser, dass Theo in der Mitte des Stalls auf einem umgedrehten Eimer saß und mich dabei zusah. Wenigstens sorgte er für Unterhaltung, zum Beispiel mit Fragen wie dieser, die mich tatsächlich dazu brachte innezuhalten, damit ich vernünftig darüber nachdenken konnte.
„Ich glaube, ich würde nach Italien ziehen, in die Toskana", verkündete ich schließlich. „Da würde ich dann den ganzen Tag malen und meine Bilder für viel Geld verkaufen. Ich hätte ein wunderschönes Haus, umgeben von Weinbergen und Obstplantagen."
Ich widmete mich wieder den Stangen, auf denen die Hühner sich nachts und manchmal auch tagsüber gerne niederließen - und entsprechend viel Dreck hinterließen. „Hühner würde ich mir definitiv nicht anschaffen", fügte ich genervt hinzu, während ich weiter schrubbte.
„Du malst gerne?", fragte Theo und die Überraschung, die in seiner Stimme mitschwang, ließ mich vermuten, dass er sich gerade angestrengt in Erinnerung zu rufen versuchte, ob er mich früher oft - oder jemals - hatte malen sehen. Anstatt ihn länger mit der gedanklichen Suche nach etwas, das er nicht finden würde, zu quälen, sagte ich nur: „Nö", und versuchte mit mein Grinsen zu verkneifen.
„Wenn dir die Welt offen steht... warum würdest du dann etwas tun, was du nicht gerne machst?" Aus der Überraschung in seiner Stimme war nun eindeutig Verwirrung geworden. Ich ließ die Hand, in der ich den Lappen hielt, sinken und wandte mich zu Theo um.
„Naja, in dem von dir beschriebenen Szenario könnte ich alles machen, alles erreichen. Dementsprechend könnte ich auch verdammt gut zeichnen und malen, und das wiederum würde mit Sicherheit dazu führen, dass ich viel Spaß daran hätte."
In Theos verdattertes Gesicht zu blicken, erfüllte mich mit tiefer Freude. Natürlich wusste ich, dass er mit seiner Frage auf etwas anderes abgezielt hatte. Aber mein Interesse, das Thema Zukunftspläne zu besprechen, ob mit Theo oder irgendwem anders, hielt sich sehr in Grenzen, weshalb ich mir den Wortlaut seiner Frage zunutze gemacht und ihn damit ein bisschen an der Nase herumgeführt hatte.
„Touché", murmelte er und zog seinen imaginären Hut. Dann sah er mich mit einem Blick an, den ich beim besten Willen nicht deuten konnte. Es schien, als wollte er noch etwas sagen, aber kein Wort verließ seinen leicht geöffneten Mund.
„Was?", fragte ich, zu neugierig, um der Sache nicht auf den Grund zu gehen.
„Ich...", begann Theo, doch dann schüttelte er den Kopf. Lächelte. Und fragte: „Ist in deinem Haus in der Toskana auch Platz für mich?" Er hatte eigentlich etwas anderes sagen wollen, da war ich mir sicher.
„Bestimmt", beantwortete ich dennoch die gestellte Frage. „Das Haus ist nicht gerade klein. Allerdings müsstest du finanziell schon auch etwas beisteuern, ich kann dich schließlich nicht durchfüttern."
Theo legte nachdenklich den Kopf schief. „Dann werde ich professioneller Weinverkoster", entschied er sich schließlich. Langsam nickte ich. „Ich male von morgens bis abends, du verdienst dein Geld damit, Alkohol zu trinken... klingt nach einem ziemlich entspannten Leben."
„Aktuell würde ich es dem realen Leben definitiv vorziehen", stimmte Theo mir zu.
„Du musst nicht den Kontinent verlassen, um Weinverkoster zu werden", gab ich zu Bedenken. „In Kalifornien wird auch viel Wein angebaut."

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FALLEN FROM GRACE
RomanceEr hatte einen Plan. Einen Traum. Eine Zukunft. Jetzt steht er vor den Trümmern - und ihr. Theo war immer der, der wusste, wohin er wollte: Eishockey, Leistung, Erfolg. Für alles andere - sogar für Maja, seine einst beste Freundin - blieb irgendwann...