Kapitel 35

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Theo

„Was macht deine Verwirrung?"

Ich lag neben Maja im Bett und wagte es kaum, zu atmen. Trotz der Dunkelheit konnte ich erkennen, dass sie sich praktisch in ihrer Decke eingewickelt hatte, ganz so, als wollte sie jeglichen Körperkontakt bestmöglich vermeiden. Seit bestimmt zehn Minuten lagen wir nebeneinander ohne uns bewegt oder ein einziges Wort gewechselt zu haben. Ich vermutete, dass Maja meine noch immer geöffneten Augen gesehen hatte und deshalb wusste, dass ich noch nicht schlief und sie mir ihre Frage stellen konnte, ohne Gefahr zu laufen, mich aufzuwecken.

„Ist verwirrt", antwortete ich, obwohl das nicht einmal ein vernünftiger Satz war. Anscheinend konnte ich nicht mehr richtig denken.

„Deine Verwirrung ist verwirrt?"

„Mh", machte ich und überließ es Maja, dieses Geräusch zu deuten. Natürlich war ich noch immer verwirrt. Ich hatte keine Ahnung was da eben passiert war, nachdem sie das Licht ausgeschaltet hatte und gegen mich gelaufen war. Ich wusste nicht, weshalb sie ihre Hand nach mir ausgestreckt hatte und ich wusste nicht, weshalb ich ihre Hand auf mein Herz gelegt hatte. Jetzt neben ihr zu liegen, drohte mich von innen heraus zu zerreißen. Es fühlte sich an, als sei ich in einem Käfig eingesperrt, dürfte mich nicht bewegen und Maja auf keinen Fall berühren. Gleichzeitig wollte ich genau das. Ich wollte ihr nah sein, näher als wir es jetzt waren.

Sie hatte nach meiner Verwirrung gefragt. War das ihr Versuch gewesen, in Erfahrung zu bringen, ob Kuscheln nach wie vor ausgeschlossen war? Oder interpretierte ich zu viel in die Frage hinein?

„Ist dir kalt?", fragte ich, weil ich einerseits die Stille zwischen uns mit Worten füllen wollte und andererseits hoffte, auf diesem Weg die Antwort auf meine eigentliche Frage zu bekommen.

„Nein, wieso?"

„Weil du aussiehst wie eine Frühlingsrolle." Ich drehte den Kopf auf die Seite, um Maja wenigstens schemenhaft im Blick zu haben. Lediglich ihr Gesicht guckte aus dem Deckenkonstrukt heraus, dass sie sich gebaut hatte. „Oder wie ein Schmetterling, der kurz davor ist, aus seinem Kokon zu schlüpfen."

Wenn meine Augen mich nicht täuschten, verzog sie das Gesicht. War das Enttäuschung, die ich erkennen konnte?

„Mist", murmelte sie. „Ich wollte eigentlich wie ein Burrito aussehen."

Ich war machtlos. Das Lachen brach aus mir heraus, ohne dass ich irgendetwas dagegen ausrichten konnte. Wohlwissend, dass Majas Vater sich auf derselben Etage befand wie wir und möglicherweise noch wach war, presste ich mir eine Hand auf den Mund, um mein Lachen so gut wie möglich zu dämpfen.

„Es ist schön, dich lachen zu hören", sagte Maja, sobald ich mich wieder einigermaßen eingekriegt hatte. „Als du hier vor ein paar Wochen ankamst, war ich mir nicht sicher, ob ich das jemals wieder hören würde." Ich wusste ganz genau, was sie meinte, denn auch ich hatte eine Zeit lang befürchtet, nie wieder lachen zu können. Aber Maja hatte es geschafft. Sie hatte mich Stück für Stück aus meiner Höhle heraus geholt und mir ein wenig Leichtigkeit zurück gegeben.

„Hätte der Burrito Interesse daran, ein bisschen näher an mich heran zu rollen?", fragte ich, weil ich den Abstand zwischen uns nicht mehr ertrug.

„Ich dachte...", begann Maja, bevor sie von Neuem begann: „Bist du dir sicher?" Sie respektierte die Grenzen, die ich vorhin gezogen hatte, und das rechnete ich ihr hoch an. Aber Verwirrung war mir um einiges lieber, als diese Tortur.

„Komm her", murmelte ich deshalb und streckte meinen Arm aus, um ihr Platz an meiner Seite zu machen. „Wenn du möchtest."

Das ließ Maja sich nicht zweimal sagen. Mit sichtbarer Anstrengung brachte sie ihren eingepackten Körper in Bewegung, rollte sich in meine Richtung, wobei sie sich einmal um 360 Grad drehte. Auch ich legte mich auf die Seite, sodass wir uns in die Augen schauen konnten. Den Arm, den ich eben ausgestreckt hatte, platzierte ich nun unter meinem Kopf, mit dem Zeigefinger der anderen Hand strich ich einmal über Majas Wange, woraufhin sich ihre Augenlider flatternd schlossen. Danach legte ich die Hand auf ihren Rücken, um sie noch ein Stück näher an mich heran zu ziehen, bis der Abstand zwischen uns nicht mehr existierte.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt