Theo
Es musste Vollmond sein, denn das Zimmer wurde die ganze Nacht über ungewöhnlich hell erleuchtet. Vielleicht war dies einer der Gründe, die mich vom Schlafen abhielten, zusammen mit den vielen Gedanken, die durch meinen Kopf rasten. Mal dachte ich an Wyatts Bitte, mich noch einmal untersuchen zu lassen, mal an das, was Maja mir erzählt hatte. Es war schlimm genug, von seiner eigenen Mutter verlassen zu werden, aber dann auch noch zu erfahren, dass die Gründe ganz andere waren als man dachte, machte alles noch viel grausamer. Ich wusste nicht, wie ich Maja helfen sollte, doch versuchen würde ich es. Sofern sie meine Hilfe annahm, was ich insgeheim bezweifelte. Es war zwar ein gutes Zeichen, dass sie sich mir überhaupt anvertraut hatte, doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie noch weitergehen und sich von mir helfen lassen würde.
Erst jetzt, wo ich mehr Zeit zum Nachdenken hatte als mir lieb war, wurde mir immer deutlicher bewusst, wie bescheuert ich mich in den letzten Jahren verhalten hatte. Ich bereute nicht, dass ich dem Sport so viel Platz in meinem Leben eingeräumt hatte, keineswegs. Vermutlich würde ich es immer wieder genauso tun. Aber die Hingabe zum Sport hatte mich andere - wichtige - Dinge gekostet. Das Ende meiner Freundschaft zu Maja war in gewisser Weise der Kollateralschaden meiner sportlichen Ambitionen und die Vorstellung, dass unsere Wege sich vielleicht nie wieder gekreuzt hätten, wenn meine Verletzung nicht wäre, war seltsam erdrückend. Jetzt, wo wir wieder mehr Zeit miteinander verbrachten, war der Gedanke, dass unsere Wege sich möglicherweise erneut trennen würden, beinahe beängstigend.
Ich wusste, dass meine Karriere beendet war, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Die Zeit rannte mir davon, ganz egal ob etwas an Wyatts Vermutung dran war, oder nicht. Ich würde nicht nach Michigan zurückkehren. Aber stattdessen hier zu bleiben, erschien mir nicht wie eine Alternative. Was sollte ich hier? Für immer bei meinen Eltern wohnen? Ich muss einen neuen Weg für mich finden, noch einmal von vorne anfangen.
Maja war hier zuhause. Ich wusste nicht, wo sie ihre Zukunft sah, darüber hatten wir nie gesprochen. Noch eine Sache, die ich zutiefst bereute. War es wirklich immer nur um mich gegangen? Hatte ich mich unbewusste immer in den Mittelpunkt gestellt? Obwohl ich es nicht wusste, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie ihren Vater alleine lassen würde. Die geographische Nähe zueinander hatte schon immer eine wichtige Rolle in unserer Freundschaft gespielt, weshalb ich nicht vorauszusagen vermochte, was eine erneute räumliche Trennung aus unserer aktuell ohnehin wackligen Beziehung machen würde. Mal ganz abgesehen davon, dass Maja möglicherweise gar kein Interesse daran hatte, wirklich wieder mit mir befreundet zu sein. Ich musste mit Sicherheit eine Menge wieder gut machen. Das Problem daran war, dass ich zu großen Teilen nicht wusste, womit ich Maja damals verletzt hatte. Die Zeit in der Highschool erschien mir rückblickend wie eine Art Fiebertraum, es war zu viel, zu schnell passiert, als dass ich mich an alles hätte erinnern können. Dem Thema auszuweichen und immer nur darauf zu beharren, dass wir beide Fehler gemacht hatten, war keine Lösung. Schon gar nicht, wenn ich Maja langfristig wieder in meinem Leben haben wollte. Wir mussten miteinander reden. Vernünftig, offen und ehrlich. Nur wenn wir-
Autsch.
Maja hatte sich erneut im Schlaf bewegt und dabei mit ihrem Knie meinen Oberschenkel gerammt. Ein Blick zur Seite zeigte mir, dass sie die Decke längst von sich getreten hatte. Kein Wunder, schließlich hatte sie außer ihrer Jacke nichts ausgezogen, bevor sie eingeschlafen war.
Sie machte ein unzufriedenes Geräusch und drückte ihr Knie erneut gegen meinen Oberschenkel, als wollte sie sich mehr Platz verschaffen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, doch wieder ins Wohnzimmer zu verschwinden, aber im gleichen Moment hob Maja ihr Bein an und streckte es, sodass es nun quer über meinen Beinen lag. Obwohl sie mein verletztes Knie dabei nicht berührten, sog ich scharf die Luft ein. Das war mit einem Mal überraschend viel körperliche Nähe, auf die ich nicht vorbereitet gewesen war. Sollte ich ihr Bein vorsichtig, ohne sie dabei aufzuwecken, wieder auf ihre Seite des Bettes bewegen? Wenn sie allerdings aufwachte, während ich sie berührte, würde sie garantiert die falschen Schlüsse ziehen. Bevor ich weiter überlegen konnte, wie ich mit der Situation umgehen sollte, zuckte Maja heftig zusammen und gab eine Art Wimmern von sich. Wenn sie jetzt im Schlaf wieder anfing zu weinen oder gar einen Albtraum hatte, wie zur Hölle sollte ich damit umgehen? Ich war es nicht gewohnt mir das Bett mit jemandem zu teilen und ich wusste erst recht nicht, welches Verhalten in dieser Situation richtig oder angemessen war.

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FALLEN FROM GRACE
RomanceEr hatte einen Plan. Einen Traum. Eine Zukunft. Jetzt steht er vor den Trümmern - und ihr. Theo war immer der, der wusste, wohin er wollte: Eishockey, Leistung, Erfolg. Für alles andere - sogar für Maja, seine einst beste Freundin - blieb irgendwann...