Maja
„Was macht deine Mutter eigentlich gerade?", fragte ich Theo auf halber Strecke.
„Meine Mum? Keine Ahnung, frag sie selbst."
Irritiert warf ich ihm einen Seitenblick zu. Seine Mutter hatte keine Zeit, ihn abzuholen, aber er kannte den Grund dafür nicht? „Du weißt nicht, wieso sie dich nicht abholen konnte?"
„Ich-" Mehr kam aus Theo nicht raus. Doch genau dieses Schweigen sorgte dafür, dass sich in mir ein Verdacht regte. Wir hatten inzwischen eine Nebenstraße erreicht, weshalb ich den Wagen am Straßenrand zum Stehen brachte.
„Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, dass deine Mutter Zeit gehabt hätte und du aus irgendeinem anderen Grund mich um Hilfe gebeten hast?" Das passte überhaupt nicht zu seinem Verhalten in den letzten Tagen und sein Gesichtsausdruck verriet, dass er seine Unaufmerksamkeit zutiefst bereute. Ich hätte die Wahrheit anscheinend niemals erfahren sollen. Zu spät.
„Ich will dir das nicht erzählen", brachte Theo schließlich mühsam hervor.
„Aber es stimmt?" Ich war fassungslos. Irritiert. Er antwortete nicht, sondern verdrehte die Augen und wich meinem Blick konsequent aus. „Wieso?"
Theo warf seinen Kopf nach hinten und zog eine Grimasse. „Physiotherapie an sich ist schon schlimm genug, wenn man keine Fortschritte sieht. Hinterher von meiner Mum abgeholt zu werden, die mich mit einem breiten Lächeln erwartet und fragt, wie es war, macht alles noch viel weniger erträglich."
Das ergab Sinn, aber es erklärte noch immer nicht, wieso er sich an mich gewandt hatte. Deshalb fragte ich: „Wieso hast du mich gefragt? Ich bin doch nicht die einzige Person in der Stadt, die du kennst. Dein Bruder, Freunde von früher... es gibt mit Sicherheit viele Menschen, die dir den Gefallen getan hätten."
„Aber du bist-", sagte er, verstummte dann jedoch und schüttelte den Kopf, bevor er von Neuem begann: „Ich habe mit niemanden außer meiner Familie gesprochen, seit ich hier bin. Ich verlasse mein Haus nur für die Physiotherapie. Nate hätte mich vermutlich abgeholt, aber er hätte mich genauso erwartungsvoll angeschaut wie meine Mum und noch mehr Fragen gestellt." Er seufzte und klang dabei so erschöpft, dass ich nichts gegen das Mitleid unternehmen konnte, das in mir erwachte. „Ich wollte einfach nur nach Hause und mich während der Fahrt mit dir zu streiten, erschien mir wie das geringste Übel."
„Vielleicht sollte ich mir das tätowieren lassen", sagte ich nachdenklich. „Das geringste Übel. Wäre auch ein toller Spruch für meinen Grabstein."
Ich beobachtete wie Theos Mundwinkel zuckten und dann lächelte er. Nein, er lächelte nicht, er grinste. Wieso fühlte sich das an wie ein Erfolg? Es sollte mich nicht derart fröhlich stimmen, ihn zu amüsieren. Aber das tat es und ich konnte nichts dagegen tun.
„Komplimente machen ist eines meiner Talente", entgegnete Theo. In diesem Moment sah er mich so an, wie er mich früher angesehen hatte. Als würde er mich mögen und sich gerne mit mir unterhalten.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte, fragte ich: „Möchtest du wirklich nach Hause?"
Sofort wurde Theos Blick misstrauisch. „Wieso? Was hast du vor?" Misstrauisch, aber anscheinend nicht grundsätzlich abgeneigt, seine Heimkehr noch etwas hinauszuzögern. Damit konnte ich arbeiten.
„Wenn es stimmt was du sagst und du das Haus kaum verlässt, hast du vermutlich seit deiner Rückkehr noch keinen Sonnenuntergang gesehen. Das ist nicht akzeptabel", teilte ich ihm vorwurfsvoll mit. Theo legte den Kopf schief und überlegte. Dann nickte er. „Stimmt, habe ich nicht."

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FALLEN FROM GRACE
RomanceEr hatte einen Plan. Einen Traum. Eine Zukunft. Jetzt steht er vor den Trümmern - und ihr. Theo war immer der, der wusste, wohin er wollte: Eishockey, Leistung, Erfolg. Für alles andere - sogar für Maja, seine einst beste Freundin - blieb irgendwann...