Kapitel 32

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Maja

Zwei einhalb Jahre zuvor

„Warum bin ich denn eigentlich so naiv und glaube immer noch daran, dass sich etwas an seinem Verhalten ändert?", fragte ich Josie und warf wütend einen Ball gegen die aufgestapelten Dosen, die daraufhin allesamt mit lautem Scheppern auf den Boden fielen. Sowohl Josie als auch der Typ hinter dem Stand sahen mich mit großen Augen an. „Nicht schlecht...", murmelte der Kerl, beinahe etwas ehrfürchtig und baute die Dosen wieder auf.

„Du bist nicht naiv", behauptete Josie, klang jedoch nicht so, als sei sie davon wirklich überzeugt. „Du bist nur... naja, du glaubst halt an das Gute in den Menschen. Oder eher an das Gute in Theo."

Schnaubend wandte ich mich von dem Stand ab und ließ meinen Blick über den Rest des Jahrmarktes schweifen, der für eine ganze Woche in der Stadt gastierte. Insbesondere das Riesenrad sorgte für große Begeisterung bei sämtlichen Besuchern. Das Riesenrad, in dem Theo und ich vor zwei Jahren mindestens fünfzig Runden gefahren waren, weil wir einfach nicht genug bekommen konnten, von den immer wieder kleiner werdenden Menschen und Lichtern der Stadt. Das Riesenrad, vor dem wir uns heute verabredet hatten.

Natürlich hatte sein Vorschlag mich irritiert. Seit etwa einem halben Jahr hatte ich die Hoffnung eigentlich aufgegeben. Theo schien endgültig entschieden zu haben, dass der Sport und seine neuen Freunde ihm wichtiger waren als ich. Das tat weh, klar, aber ich würde ihm mit Sicherheit nicht hinterher laufen. Ich war kein Hund. Nun hatte er vorgeschlagen, dass wir uns am Riesenrad trafen und ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, weshalb. Seit seiner Nachricht keimte in mir Hoffnung auf, dass er sein Verhalten bereute und ich ihm doch nicht egal war. Obwohl ich mich selbst ein bisschen dafür hasste, würde ich ihm ohne zu zögern verzeihen und die Hand, die er mir hinhielt, dankend ergreifen. Er war mein bester Freund. All die Dinge, die wir zusammen erlebt hatten, ließen sich nicht einfach so auslöschen, das war unmöglich.

Ich war also bereit, ihm noch eine Chance zu geben. Das Problem war nur, dass er es sich anscheinend schon wieder anders überlegt hatte, denn die in der Nachricht genannte Zeit lag bereits eine Stunde in der Vergangenheit und von Theo war keine Spur zu sehen. Nach einer Viertelstunde des Wartens hatte ich Josie angerufen, die eigentlich mit ihrem kleinen Bruder hier war und sofort zu mir geeilt kam.

„Komm schon, nur eine Runde!", hörte ich plötzlich eine Stimme, die mir leider inzwischen allzu vertraut war. Die mich manchmal sogar bis in meine Träume verfolgte, einfach nur weil sie mich so unfassbar nervte. „Bitteeee Theo."

Ich fuhr herum. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Jessica Miller nach Theos Hand griff und ihn in Richtung Riesenrad zog. Er folgte ihr lachend und sagte etwas, das ich aus der Entfernung nicht verstehen konnte.

Unfassbar.

Es war eine Sache, wenn Theo mich versetzte. Eine ganz andere, wenn er mich für sie versetzte. Er wusste, wie sehr ich sie verabscheute, dass ich sie noch nie hatte leiden können. Jetzt mir ihr hier aufzutauchen, nachdem er eigentlich mit mir verabredet war, das grenzte an Beleidigung.

„Ist das...", fragte Josie neben mir, anscheinend auch fassungslos. „Was für ein Idiot", murmelte sie. Ich beobachtete wie Jessica und Theo in eine der Gondeln stiegen, sich eng nebeneinander setzten und sich dabei angeregt unterhielten. Erst als die beiden vor meinem Augen verschwammen, realisierte ich, dass ich weinte. Seit meine Mutter gegangen war, hatte ich nicht mehr geweint. Ich hatte mir Mauern aufgebaut, um mich davor zu schützen, noch einmal derart verletzt zu werden. Offenbar nicht erfolgreich. Es waren Tränen der Wut, Tränen der Enttäuschung. Wut auf Theo und noch viel mehr Wut auf mich selbst.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt