Maja
Der Flug verlief ruhig, es gab kaum Turbulenzen, und dadurch, dass wir uns weit über den Wolken befanden, konnte ich diese ganze Zeit über einen herrlich blauen Himmel bewundern. Bei jedem kleinen Wackler des Flugzeuges spannte Theos Körper sich neben mir an und manchmal zuckte seine Hand kurz zu meiner, doch er zog sie immer wieder zurück, kurz bevor wir uns berührten. Ich hätte ihm gerne etwas von seiner Angst genommen, aber ich wusste beim besten Willen nicht wie ich das anstellen sollte. Mit Logik oder Statistiken wollte ich es lieber nicht noch einmal versuchen. Also beschränkte sich meine Hilfestellung auf die Beschallung mit beruhigender Klaviermusik, bis meine Kopfhörer irgendwann ihren Geist aufgaben. Normalerweise hielt der Akku sehr lange, allerdings hatte ich gestern Abend nicht mehr daran gedacht, sie noch einmal aufzuladen. Theo schien des gleichen Fehler gemacht zu haben, denn seine Kopfhörer verabschiedeten sich bereits eine halbe Stunde, bevor er meine absetzte und mir mit einem gequälten Lächeln zurückgab.
„Vielleicht sollten wir die Kopfhörer vor dem Rückflug vollständig laden", schlug ich vor, während ich sie wieder in meiner Tasche verstaute. „Aber jetzt haben wir es sowieso gleich geschafft." Etwas wehmütig schaute ich aus dem Fenster, zu den immer näher kommenden Wolken. Liebend gerne wäre ich noch ein paar Stunden länger hier oben geblieben, weg von der Realität, weg von dem, was mich in Florida erwartete. Theo teilte diesen Wunsch ganz eindeutig nicht. „Ein Glück", murmelte er und stieß ein leises Stöhnen aus, da wir in diesem Moment eine Wolke durchflogen und sich das Flugzeug dementsprechend ruckartig hin und her bewegte.
„Weißt du wie man immer sagt, etwas sei die Hölle auf Erden?", fragte er mich, woraufhin ich nickte. „Das hier ist die Hölle im Himmel", fuhr er mit einem solch finsteren Gesichtsausdruck fort, dass ich nicht anders konnte, als zu lachen. Schnell presste ich mir eine Hand vor den Mund, weil Theo auf keinen Fall denken sollte, dass ich mich über ihn und seine Angst lustig machte.
„Nicht lustig", knurrte er dennoch. „Überhaupt nicht lustig."
„Hölle im Himmel?", wiederholte ich seine Worte grinsend. „Doch, das ist schon irgendwie lustig."
Theo grummelte noch irgendetwas unverständliches und wandte den Blick ab, um an die Flugzeugdecke zu starren. Ich schaute wieder nach rechts und bekam so den Augenblick mit, in dem wir die unterste Wolkenschicht durchbrachen und sich der blaue Ozean unter uns ausbreitete. Anscheinend waren wir eine Schleife geflogen, um die Landebahn aus der richtigen Richtung anzusteuern.
„Schau mal, wie wunderschön!", rief ich und deutete mit dem Finger entlang der von hier oben scheinbar winzigen Küstenlinie.
„Ich hoffe du sprichst mit dir selbst, denn ich werde einen Teufel tun und da raus gucken", kam es von Theo und schon wieder musste ich grinsen. „Aber du bist doch gerade in der Hölle, da kannst du ruhig auch ein bisschen teuflisch unterwegs sein", entgegnete ich.
„Wenn wir das hier überleben, muss ich dich vielleicht umbringen", sagte Theo, doch ich meinte ein leichtes Schmunzeln aus seiner Stimme herauszuhören.
Es dauerte weitere zwanzig Minuten, bis wir bemerkenswert geschmeidig auf der Landebahn aufstießen und der Pilot sofort mit der gewohnten Härte in die Bremsen ging. Ich schaute kurz zu Theo, der seine Augen wieder einmal geschlossen hatte und das Atmen komplett eingestellt zu haben schien. Erst als die Intensität des Bremsvorgangs abnahm und wir in gemächlichem Tempo weiter rollten, hob und senkte sich sein Brustkorb wieder.
„Du hast es geschafft", teilte ich ihm freudig mit und stieß mit meinem Ellenbogen sanft gegen seinen Oberarm. „So schlimm war es doch gar nicht, oder?"
Theo öffnete die Augen und verzog den Mund zu einem Lächeln, das unechter nicht hätte sein können. „Ganz, ganz toll war das. Die besten fünf Stunden meines Lebens."
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FALLEN FROM GRACE
RomanceTheo und Maja sind zusammen aufgewachsen, haben Höhen und Tiefen gemeinsam durchlebt - jetzt ist von ihrer Freundschaft nichts mehr zu spüren. Doch als der talentierte Eishockeyspieler Theo gezwungen wird, in die Heimat zurückzukehren, begegnen sich...