Maja
Theo brachte mir nicht bei, wie man Schach spielte.
Stattdessen redeten wir fast die ganze Nacht. Über gemeinsame Erinnerungen an früher, aber auch über die Zeiten, die wir nicht miteinander verbracht hatten. Er erzählte mir sogar von Michigan, von seiner Mannschaft und seinem Leben dort. Es fiel ihm nicht leicht, das spürte ich, und sein Lächeln, während er davon sprach, brach mir ein wenig das Herz. Ich wünschte ihm wirklich, dass noch ein Wunder geschehen würde und er seinen Traum weiter verfolgen konnte.
Etwa um drei Uhr morgens schlug Theo vor, Flüge nach Florida zu buchen. „Statistisch ist es günstiger, Flüge unter der Woche zu buchen", gab ich zu Bedenken. „Ich glaube ich hab mal gelesen, dass es am Dienstagabend besonders günstig ist."
Theo verdrehte die Augen und klappte seinen Laptop auf. „Du und deine Statistiken. Mitten in der Nacht ist es bestimmt noch günstiger. Wer bucht denn schon um drei Uhr morgens Flüge?"
Es war nicht günstig, aber das war mir schon vorher klar gewesen. Natürlich lag das auch daran, dass ich so bald wie möglich fliegen wollte, um meine Nerven nicht unnötig zu strapazieren. Außerdem wollte ich nicht riskieren, dass meine Mutter ihren Aufenthaltsort wieder änderte und ich erneut Geld in Lucas investieren musste.
„Bist du dir sicher, dass du mitkommen möchtest?", fragte ich mit einem Blick auf die Preise. Theo nickte. „Freitag bis Sonntag? Oder lieber noch einen Tag länger?"
„Ich weiß es nicht", gab ich zu. „Was mache ich, wenn ich sie an der Adresse, die Lucas mir gegeben hat, nicht finde? Ich weiß, dass ich dann nicht ewig nach ihr suchen kann, aber vielleicht wäre ein Tag länger zur Sicherheit gar nicht schlecht."
„Also Freitag bis Montag? Dann sind die Rückflüge auch etwas günstiger."
„Ja, aber wir müssen eine Übernachtung mehr zahlen."
„Das ist für dich immer noch günstiger, als wenn du alleine fliegen würdest und die Hotelkosten komplett zahlen müsstest."
„Okay, Freitag bis Montag", willigte ich ein. „Aber du zahlst weniger als die Hälfte der Hotelkosten. Sonst fühle ich mich echt schlecht."
Theo schenkte mir einen missbilligenden Blick. „Quatsch", sagte er. „Du musst dich nicht schlecht fühlen. Ich komme schließlich freiwillig mit."
Zehn Minuten später hatten wir Flüge und eine Unterkunft gebucht und ich realisierte, dass ich schon in einer Woche möglicherweise Antworten auf Fragen haben würde, die ich mir seit sieben Jahren stellte. Hatte ihr mir das wirklich gut genug überlegt? War es nicht manchmal besser, in Unwissenheit zu leben, als Enttäuschungen zu erfahren? Aber für derartige Zweifel war es jetzt eindeutig zu spät.
„Darf ich dir etwas geben?", fragte Theo, nachdem er seinen Laptop wieder zugeklappt und weggestellt hatte. Etwas verwirrt nickte ich. „Klar." Ich hatte keine Ahnung, was er mir geben wollte, aber etwas schlimmes würde es wohl kaum sein. Theo stand auf und ging zur Kommode. Als er wiederkam, hielt er ein kleines Päckchen mit Schleife in der Hand. Für ein paar Sekunden starrte ich das Päckchen einfach nur an. War das ein Geschenk? Für mich? Und wieso kam es mir so bekannt vor? Dann ging mir langsam ein Licht auf.
„Ist das...?", fragte ich ungläubig, woraufhin Theo einmal kurz nickte. Ich konnte nicht anders, als immer wieder zwischen dem Päckchen und Theos Gesicht hin und her zu schauen. Über zwei Jahre war es her, dass Theo an meinem Geburtstag plötzlich vor der Haustür gestanden hatte, genau diese Päckchen in der Hand, als wäre alles in bester Ordnung und wir noch immer befreundet. Dabei hatten wir zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten kein Wort mehr miteinander gewechselt. „Happy Birthday, Maja", hatte er gesagt und mir lächelnd das Päckchen hingehalten. Und ich? Ich hatte ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen. Zu tief hatte der Schmerz damals gesessen.
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FALLEN FROM GRACE
RomanceTheo und Maja sind zusammen aufgewachsen, haben Höhen und Tiefen gemeinsam durchlebt - jetzt ist von ihrer Freundschaft nichts mehr zu spüren. Doch als der talentierte Eishockeyspieler Theo gezwungen wird, in die Heimat zurückzukehren, begegnen sich...