Kapitel 57

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Theo

Nur zwei Straßen weiter blieb ich wieder stehen. Ich konnte unmöglich zurück zum Hotel fahren und Gefahr laufen, dort auf Maja zu treffen. Bevor ich ihr wieder gegenüber trat, musste ich das eben Erlebte verarbeiten und sicher gehen, dass man mir mein schlechtes Gewissen nicht vom Gesicht ablesen konnte. Aber vor allem musste ich mich abreagieren. Innerhalb der letzten Minuten sich so viel Wut in mir angestaut, dass ich Mühe hatte, ruhig zu atmen.

Mit keinem einzigen Wort hatte Linnea Sjögren sich nach ihren Kindern erkundigt. Sie hatte nicht wissen wollen, wie es ihnen ging, ob sie gesund und glücklich waren. Wie konnte das Interesse an den eigenen Kindern derart gering sein? Andererseits hatte sie sich schließlich eine fast exakte Kopie ihrer Tochter erschaffen. Matilda und Maja sahen sich so ähnlich, als hätten die Gene ihrer unterschiedlichen Väter überhaupt keine Rolle gespielt. Ich fragte mich, ob in dem Haus auch noch eine jüngere Version von Jacob umher lief.

Ich holte mein Handy hervor und starrte auf die Nummer, die ich erst vor wenigen Minuten eingespeichert hatte. Majas Mutter verdiente es nicht, dass ihre Tochter sich bei ihr meldete. Aber diese Nummer war der Schlüssel zu Antworten. Selbst wenn Maja in den nächsten beiden Tagen nicht mehr den Mut finden würde, das Haus ihrer Mutter erneut aufzusuchen, könnte sie sie mithilfe dieser Nummer jederzeit auch von Utah aus kontaktieren. Ihr diese Möglichkeit zu nehmen, nachdem ich sie schon hintergangen hatte, indem ich ohne sie hierher zurückgekehrt war, wäre doppelter Verrat. Dennoch konnte ich nicht riskieren, dass Maja die Nummer in meinem Handy entdeckte. Ich traute ihr zwar nicht zu, ohne meine Erlaubnis mein Handy zu durchsuchen, aber sie kannte meinen Code und das war Risiko genug.

Ich beugte mich zur Beifahrerseite hinüber und öffnete das Handschuhfach. Neben den Unterlagen der Autovermietung fand ich dort auch einen kleinen Notizblock und einen Kugelschreiber. Schnell notierte ich die Nummer auf einem Zettel und steckte ihn zusammengefaltet in meine Hosentasche, bevor ich den Kontakt in meinem Handy löschte. Jetzt musste ich nur noch daran denken, den Zettel später an einem Ort zu lagern, wo er weder verloren gehen noch in Majas Hände fallen würde.

Wo sollte ich jetzt hin? Das Hotel war ausgeschlossen. Ebenso der Strandabschnitt, an dem ich Maja zurück gelassen hatte. Sie wollte alleine sein. Bis sie sich bei mir meldete und mir etwas gegenteiliges mitteilte. Dann wäre ich sofort zur Stelle. Das wiederum bedeutete auch, dass ich mich nicht zu weit entfernen durfte. Normalerweise hätte ich das Auto beim Hotel geparkt und wäre dann einfach durch die Gegend spaziert, um meinen Kopf frei zu bekommen. Doch lange Spaziergänge waren noch immer nicht ohne Schmerzen möglich. Also drehte ich die Lautstärke des Radios nach oben, lehnte den Sitz nach hinten, öffnete das Fenster ein Stück, damit es nicht zu warm im Auto wurde, und schloss meine Augen. Nach dem wenigen Schlaf, den ich in der letzten Nacht bekommen hatte, würde ein bisschen Erholung mir bestimmt guttun.

Als ich die Augen wieder öffnete, strahlte die Sonne von einer anderen Seite ins Auto herein. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich fast drei Stunden geschlafen hatte. Maja hatte sich noch immer nicht gemeldet und ich versuchte, mir deswegen nicht zu viele Gedanken oder gar Sorgen machen. Da ich nicht ausschließen konnte, dass sie inzwischen zurück im Hotel war und sich mit Sicherheit fragen würde, wo ich mich aufhielt, ließ ich nun den Motor an und machte mich auf den Rückweg. Meine Wut war etwas abgeflacht und ich fühlte mich in der Lage, mich vor Maja zusammen zu reißen. Ich wollte sie nicht anlügen, aber aktuell sah ich keinen anderen Weg.

Maja war nicht im Hotel. Und es sah auch nicht so aus, als sei sie während meiner Abwesenheit hier gewesen. Trotz ihrem Wunsch, alleine zu sein, schrieb ich ihr nun eine Nachricht, um zu fragen, ob alles in Ordnung war. Während ich auf ihre Antwort wartete, lief ich unruhig im Zimmer auf und ab. Vielleicht hätte ich mich doch hinter einer Sandburg verstecken sollen.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt