Kapitel 7

492 25 23
                                    

Theo

Ich wollte schreien.

Wollte etwas kaputt machen, etwas zerstören.

Die Wut brodelte in mir, Wut auf mich selbst und auf das Schicksal. Innerlich brannte ich, doch von außen ließ ich mir nichts anmerken. Ich schwieg, ließ die Flammen in meinen Adern züngeln, ohne meine Verzweiflung raus zu lassen. Auf die Frage meiner Mutter, wie die Physiotherapie verlaufen war, hatte ich ihr keine Antwort gegeben. Ich war ins Auto gestiegen und hatte schweigend gewartet, bis sie losfuhr. Vielleicht sagte ihr das ohnehin mehr als irgendwelche Worte. Die Stille zwischen uns zog sich bis wir wieder zuhause ankamen. Anstatt meiner Mutter ins Haus zu folgen, drehte ich mich zur Straße um.

„Ich geh spazieren", murmelte ich. Die ersten Worte seit sie mich abgeholt hatte.

„Bist du dir sicher? Die Physio war mit Sicherheit fordernd, du solltest dein Knie nicht überanstrengen."

Ihr zu widersprechen wäre eine glatte Lüge gewesen. Ich wusste, dass ich mich ausruhen sollte. Aber wenn ich mich jetzt wieder ins Bett legte, würde ich wahnsinnig werden. Vielleicht würde ich dann wirklich schreien und für die Gespräche, die darauf folgen würden, war ich definitiv nicht bereit. Also ging ich ohne ein weiteres Wort zur Straße. Meine Mutter hielt mich nicht auf, doch ich wollte nicht ausschließen, dass sie oder mein Vater mir in Kürze folgen würden. Und wenn es nur dem Zweck diente, mir im Zweifelsfall wieder auf die Beine helfen zu können. Um das zu vermeiden, ging ich so zügig wie es mir möglich war, die Zähne fest zusammen gepresst und in den Schmerz hineinatmend. Wie von selbst bogen meine Füße auf den vertrauten Feldweg ab. Als ich den Baumstamm erreichte, der beim letzten Versuch meinen Wendepunkt dargestellt hatte, machte ich eine kurze Pause. Dieses Mal würde ich nicht aufgeben. Wenn ich diesen Weg nicht schaffte, war wirklich alles verloren.

Schwachsinn, das war es ohnehin schon.

Aber ich brauchte ein Erfolgserlebnis. Ich brauchte es dringend, weil ich nicht wusste, wie ich sonst weitermachen sollte.

Ich stand wieder auf und der Schmerz in meinem Knie raubte mir beinahe den Atem. Trotzdem kämpfte ich mich weiter. Meter für Meter, Schritt für Schritt. Als der Weg einen Bogen machte und ich endlich die großen Weideflächen vor mir sah, hätte ich vor Freude fast geschrien. Und gleichzeitig hasste ich die Tatsache, dass dieser jämmerliche Erfolg eine derartige Wirkung auf mich hatte.

Ich lehnte mich erschöpft an einen Pfosten des Weidezauns. In der Ferne hoben ein paar Kühe kurz den Kopf, als hätten sie meine Anwesenheit bemerkt, bevor sie sich wieder dem Gras unter ihren Hufen widmeten. Das hier hatte ich vermisst. Mehr als mir bewusst gewesen war. Die Ruhe, nur unterbrochen von dem gelegentlichen Gackern oder Krähen der Hühner. Die herrlich frische Luft, mit einem Hauch von Kuhmist - der aber einfach dazu gehörte. Das hier war Kindheit. Sorglosigkeit. Die Freiheit, sich eine Zukunft in den buntesten Farben ausmalen zu können.

Ich beobachtete, wie eine der Kühe langsam in meine Richtung trottete. Je näher sie kam, desto deutlicher wurde, dass sie noch verhältnismäßig jung war.

„Hi", murmelte ich, als sie den Zaun erreicht hatte und kam mir sofort absolut bescheuert vor. Weshalb redete ich jetzt mit einer verdammten Kuh? War ich nicht hierher gekommen, damit ich mit niemandem reden musste? Wenigstens würde die Kuh mir nicht antworten.

Der Zaun war gerade niedrig genug, sodass sie ihren Kopf herüber strecken konnte. Sie stupste mir gegen den Arm. Das war... ungewöhnlich. Als Kind hatte ich viel Zeit auf diesem Hof verbracht und auf diese Weise hatte keine Kuh mit mir interagiert. Ich hob meine Hand und strich über ihr weiches Fell. Als ich meine Hand wieder sinken ließ, stupste sie mich erneut an. Fordernd. Mir entwich ein leises Lachen.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt