Theo
Ich hatte den Tag genossen, daran bestand überhaupt kein Zweifel und ich wollte es auch gar nicht leugnen, nicht vor mir oder sonst jemandem. Ein Tag nur Theo und Maja hatte gut getan. Gleichzeitig war dieser Tag auch ein Fehler gewesen. Das wurde mir klar, sobald ich die Tür des Gästezimmers hinter mir schloss und alleine war. Mit einer unerwarteten Wucht schlugen all die Gedanken ein, die ich den ganzen Tag über angestrengt weggesperrt hatte.
Dieses Leben, das Maja führte und in das ich für diesen einen Tag eingetaucht war, hatte ich bewusst hinter mir gelassen. Ich hatte diese Stadt hinter mir gelassen, weil ich Dinge erreichen wollte, die diese Stadt mir nicht bieten konnte. Ich sollte gerade überhaupt nicht hier sein, ich sollte irgendwo auf einer Eisfläche stehen und verdammte Tore schießen.
Mir war nie etwas in den Schoß gefallen. Ich hatte verhältnismäßig spät angefangen, Eishockey zu spielen, und mich dann mit Ehrgeiz, Disziplin und unfassbar hartem Training beinahe bis an die Spitze durch geboxt. Der Weg in die NHL führte zwangsläufig über die College-Liga und meine Eltern hatten nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie mir das Studium nicht würden finanzieren können. Also hatte ich noch härter trainiert und wurde mit dem Sportstipendium dafür belohnt. Alles, was ich erreicht hatte, hatte ich mir verdient. Und jetzt war alles vorbei. An dem Schmerz, den diese Erkenntnis mit sich brachte, konnten auch ein paar Stunden Sorglosigkeit mit Maja nichts ausrichten.
Ich wusste, dass ich ohnehin nicht würde schlafen können, weshalb ich entschied, mir noch etwas zu trinken aus der Küche zu holen. Ich ging stark davon aus, dass Maja oder ihr Vater nichts dagegen haben würden.
Sobald ich das Gästezimmer wieder verlassen und den Flur betreten hatte, holte mich die Realität erneut mit voller Wucht ein. Die Küche war unten, ich befand mich im oberen Stockwerk des Hauses. Ich starrte die Treppe an, als sei sie ein verhasster Feind. Vorhin hatte ich es gerade so hier rauf geschafft und irgendwie schien es mir gelungen zu sein, meine höllischen Schmerzen vor Maja zu verbergen.
Kraftlos und mit spürbar wachsender Verzweiflung ließ ich mich auf der obersten Treppenstufen nieder, stütze meine Ellenbogen auf meine Oberschenkel und vergrub mein Gesicht in den Händen. Es ging hier nicht nur um den Sport und meine zerstörte Karriere. Es ging um sehr viel mehr.
Eine Tür öffnete sich hinter mir und für einen kurzen Moment befürchtete ich, mich nun Majas Vater erklären zu müssen, der mir ohnehin nicht antworten würde. Doch ein kurzer Blick nach hinten zeigte mir, dass es nur Maja war, die nun aus ihrem Zimmer trat, so wie ich etwa zehn Minuten vorher. Bei meinem Anblick stutzte sie. Das Mondlicht erhellte den Flur gerade ausreichend, um ihre Gesichtszüge erkennen zu können.
„Was machst du hier?", fragte ich schnell, um ihr zuvor zu kommen. Denn mit Sicherheit wollte sie mir exakt die gleiche Frage stellen. Dennoch kam ich mir dabei albern vor, denn schließlich wohnte sie hier und konnte sich frei bewegen, wann und wie sie wollte. Und vor allem ohne mir Rede und Antwort zu stehen. Aber anstatt mir genau das zu sagen, kam sie ein paar Schritte auf mich zu und erklärte: „Ich wollte nochmal kurz ins Bad." Und dann, wie ich es hatte kommen sehen: „Was machst du hier? Stimmt was nicht mit dem Zimmer?"
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Natürlich war mit dem Zimmer alles in bester Ordnung, aber ich wollte Maja auch nicht in die Tiefen meiner Verzweiflung hinab ziehen. Nicht, nachdem ich heute alles dafür getan hatte, ihre gute Laune aufrecht zu erhalten.
„Lass dich von mir nicht aufhalten", murmelte ich deshalb und wandte den Blick ab. Doch natürlich machte Maja genau das Gegenteil. Sie ging nicht weiter in Richtung Bad, sondern blieb anscheinend unbewegt stehen, denn ich hörte keine Schritte. Für ein paar Minuten herrschte absolute Stille, bis ich diese nicht mehr aushielt.

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FALLEN FROM GRACE
RomanceEr hatte einen Plan. Einen Traum. Eine Zukunft. Jetzt steht er vor den Trümmern - und ihr. Theo war immer der, der wusste, wohin er wollte: Eishockey, Leistung, Erfolg. Für alles andere - sogar für Maja, seine einst beste Freundin - blieb irgendwann...