Kapitel 39

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Maja

Dieser Kerl machte mich verrückt. Ich wusste nur noch nicht, was ich davon halten sollte.

„Wir sind Freunde", betonte ich. Freunde, nicht mehr und nicht weniger. Mit Freunden machte man Späße, aber man flirtete nicht mit ihnen. Gut, eigentlich schlief man auch nicht auf die Art und Weise nebeneinander, wie wir es getan hatten.

Als könnte er meine Gedanken lesen, erwiderte Theo: „Sind wir. Aber die letzten beiden Nächte... das waren nicht zwei sechsjährige Kinder, die voller Unschuld nebeneinander eingeschlafen sind. Das war mehr."

Ich musste schlucken. Also hatte Theo die sexuelle Spannung und Anziehung auch gespürt. Ich fragte mich, ob es ihm auch so schwer gefallen war, nicht noch weiter zu gehen. Doch all das spielte keine Rolle, denn ich würde weder mein Herz, noch unsere Freundschaft für etwas auf's Spiel setzen, dessen Ausgang derart unsicher war.

„Haben wir beide gerade nicht genug Probleme? Müssen wir es wirklich noch komplizierter machen?"

Theo kniff die Augen zusammen und trank einen Schluck, bevor er den Kopf schüttelte. „Nein, müssen wir nicht. Lass uns einfach weiter Zeit miteinander verbringen. Darum geht es mir. Ich möchte Zeit mit dir verbringen. Wenn du das auch möchtest, sehe ich überhaupt keine Komplikationen."

„Zeit miteinander verbringen?", fragte ich und musterte ihn kritisch. „Du hast doch eben selber gesagt, dass du bald wieder weg bist. Natürlich möchte auch ich Zeit mit dir verbringen, aber alles was über Freundschaft hinausgeht und sowieso keine Zukunft hat..." Ich schüttelte den Kopf. Es fühlte sich an, als sabotierte ich mich selbst. Obwohl es absolut unvernünftig und bescheuert war, wollte ich spätestens seit letzter Nacht mehr als Freundschaft. Dennoch musste ich diese Grenze ziehen, um mich nicht erneut so verwundbar zu machen, wie vor zwei Jahren. Ja, Theo spürte die körperliche Anziehung und es machte ihm anscheinend Spaß, mit mir zu flirten, aber das reichte nicht aus. Ich meinte sehen zu können, wie sich die Rädchen in seinem Kopf drehten, während er mir zuhörte. Dann schloss er kurz die Augen, bevor er sich näher zu mir beugte und leise, aber eindringlich zu sprechen begann:

„In meinem Leben passiert gerade ein Haufen Scheiße und ich bin nicht mit der Absicht hierher zurückgekehrt, irgendetwas zu... verdammt, um ehrlich zu sein standest du sehr weit oben auf der Liste der Menschen, denen ich während meiner Zeit hier auf keinen Fall über den Weg laufen wollte."

„Wow, danke", bemerkte ich in sarkastischem Ton.

Standest", betonte Theo und sah mich weiter mit intensivem Blick an. „Jetzt stehst du ganz oben auf der Liste der Menschen, die ich jeden Tag - nein, jede Sekunde eines jeden Tages sehen möchte."

Meine Herz pochte so laut in meiner Brust, dass Theo es hören musste. Vor zwei einhalb Jahren hätten diese Worte mir so viel bedeutet und jetzt... jetzt stürzten sie mich in ein totales Gefühlschaos, das mich zu überwältigen drohte. Und dafür hatte ich aktuell keine Kapazität in meinem ohnehin schon von Gedanken und Emotionen überfüllten Kopf.

„Freundschaft", wiederholte ich erneut, obwohl mein Herz lautstark protestierte. „Mehr geht aktuell nicht."

Theos Gesichtsausdruck war unergründlich. Ich konnte nicht sagen, ob mein Standpunkt ihn verletzte oder ihn völlig kalt ließ. Nach einer gefühlten Ewigkeit - in Wahrheit vergingen vermutlich nur wenige Sekunden - zuckte er mit scheinbarer Gleichgültigkeit die Schultern und willigte ein: „Okay. Freundschaft."

Um ihn nicht länger anschauen zu müssen und in seinem Gesicht unbewusst nach Anzeichen dafür zu suchen, dass er mir eigentlich widersprechen wollte, widmete ich mich wieder meinem inzwischen fast kalten Risotto. Das Schweigen zwischen uns wurde irgendwann unerträglich, weshalb ich etwas aufgriff, das er in unserem Gespräch erwähnt hatte.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt