Kapitel 56

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Maja

Theo war nicht zurück zum Hotel gefahren. Stattdessen hatte er den Wagen direkt am Strand geparkt, war wortlos ausgestiegen, auf meine Seite gegangen und hatte mir die Tür aufgehalten. Nun standen wir nebeneinander im Sand und starrten auf das Meer, dass sich scheinbar endlos weit vor uns erstreckte. Das fröhliche Schreien und Lachen der Kinder und Erwachsenen um uns herum, drang nur gedämpft an meine Ohren, als würde mich eine unsichtbare Schallschutzmauer vom Rest der Welt trennen. Obwohl es hinter meinen Augen zu brennen schien, riss ich mich zusammen. Ich würde nicht weinen. Nicht ihretwegen. Das hatte ich mir vor etlichen Jahren geschworen und bis auf ein paar wenige Ausrutscher war es mir bisher auch sehr gut gelungen. Ich war naiv. So unendlich naiv. Denn obwohl ich es mir nicht hatte eingestehen wollen, war da ein kleiner Funken Hoffnung gewesen, der tief in mir geschlummert hatte. Ein kleiner Funken Hoffnung, dass es eine Erklärung gab. Eine Erklärung, die verständlich war und mir nicht das Herz aus der Brust herausriss. Naiv, naiv, naiv.

Es war leicht, alles um mich herum auszublenden. Alles, außer Theo. Ich spürte sofort, dass er den Blick vom Wasser abwandte und mich stattdessen beobachtete. Für einen kurzen Moment erwiderte ich seinen Blick, doch der Ausdruck in seinen Augen ließ mich meinen Kopf sofort wieder nach vorne drehen.

„Hör auf, mich so anzusehen."

„Wie sehe ich dich denn an?"

„Als seist du der verdammte Mittelpunkt seines Universums oder so..."

Wieso musste sich die Erinnerung an Josies Worte ausgerechnet jetzt in mein Gehirn drängen? Denn nein, so sah Theo mich nicht an. In seinem Blick hatte Mitleid gelegen, gegen das er selbst sich so sträubte, und Sorge.

Ich zuckte mit den Schultern und kniff die Augen zusammen, da in diesem Moment die Sonne hinter den Wolken hervorkam. „So, als hättest du Angst, dass ich gleich heulend zusammenbreche oder durchdrehe."

„Und was wenn ich Angst habe, dass du gleich heulend zusammenbrichst oder durchdrehst? Verständlich wäre es."

„Werde ich nicht", beruhigte ich ihn. Ich hatte mich ihm Griff. Seit sieben Jahren wohnte dieses Gefühl der Enttäuschung und Wut in meinem Innern, da würde diese neue Information mich nicht umhauen. Ich war stark. Für meinen Vater, für meinen Bruder und für mich.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Theo eine Hand nach mir ausstreckte. Reflexartig trat ich einen Schritt zur Seite, weg von ihm. Ja, ich war stark. Nein, ich würde nicht zusammenbrechen. Aber wenn Theo mich jetzt berührte und versuchte, mir Trost zu spenden, dann konnte ich für nichts garantieren.

„Ich bin dankbar, dass du hier bist, wirklich", versicherte ich ihm. „Aber ich muss jetzt gerade alleine sein."

Falls er sich von meiner Bitte vor den Kopf gestoßen fühlte, ließ er es sich nicht anmerken. Ich sah zu ihm herüber und er nickte einmal kurz. Seine leicht gehobenen Mundwinkel deuteten ein Lächeln an, das ich nicht erwidern konnte. „Soll ich dir das Auto hier lassen?" Er ließ den Autoschlüssel von seinem Daumen herunter baumeln, doch ich schüttelte den Kopf.

„Nein, fahr du zurück zum Hotel. Ich komme später zu Fuß nach."

„Okay." Er wandte sich zum Gehen, drehte sich dann jedoch noch einmal zu mir um. „Wenn irgendetwas ist, bin ich jederzeit erreichbar."

Ich nickte und schluckte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte, hinunter. „Ich weiß."

Theo

Sie wollte alleine sein und das war okay. War es wirklich.

Warum sträubte sich dann alles in mir dagegen, sie alleine zu lassen? Am liebsten hätte ich mich irgendwo zwischen den Sandburgen und Sonnenliegen der Touristen versteckt, um Maja im Blick zu behalten. Sie würde mich umbringen, wenn sie mich entdeckte und das war ein Risiko, das ich lieber nicht eingehen wollte. Also tat ich etwas, das mindestens genauso dumm war.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt