Theo
„Also...Maja Sjögren, hm?"
Stöhnend lehnte ich meinen Kopf nach hinten. Indem ich meinen Bruder gebeten hatte, mich abzuholen, war ich das Risiko eingegangen, mich einigen Fragen stellen zu müssen. Immerhin war ich ihm in letzter Zeit recht erfolgreich aus dem Weg gegangen. Doch ich hätte niemals damit gerechnet, dass er das Gespräch auf diese Weise beginnen würde.
„Hast du mit Mum gesprochen, oder was?", fragte ich, denn anders konnte ich mir nicht erklären, woher er wissen sollte, mit wem ich den Abend verbracht hatte. Aber Nate warf mir kurz einen irritierten Blick zu, schaute dann wieder auf die Straße und schüttelte den Kopf. „Majas Wagen stand vor der Bar. Was hat Mum damit zutun?"
„Nichts, vergiss es", murmelte ich schnell und bevor er weitere Fragen stellen konnte, fügte ich hinzu: „Ich hab mich mit ein paar Leuten von früher getroffen und Maja war auch dabei, ja."
„Ich kann nicht glauben, dass sie euch da überhaupt reinlassen", sagte Nate, woraus ich mit Erleichterung schloss, dass das Thema Maja für ihn beendet war. „Keiner von euch ist 21, oder?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Wo liegt das Problem? Sie schenken ja keinen Alkohol an uns aus."
Im Vergleich zu den Bars, in denen wir uns in Michigan oft nach den Spielen die Abende vertrieben hatten, war das Judy's wirklich harmlos, aber das sagte ich meinem Bruder lieber nicht. Dort hatte sich niemand für unser Alter interessiert.
„Danke, dass du mich abgeholt hast", lenkte ich vom Thema ab. Nate sprang sofort darauf an: „Klar, wobei ich schon sagen muss, dass ich überrascht war. Ist deine Mission, alles alleine zu schaffen und jeden, der dir seine Hilfe anbietet, mit Blicken zu vernichten, damit beendet?"
„Ich habe niemanden mit meinen Blicken vernichtet", widersprach ich und verdrehte die Augen.
„Doch, hast du. Aber hey, ich hab's überlebt."
Mit einem müden Lächeln wandte ich den Blick von meinem Bruder ab. Bevor unsere Leben sich in komplett unterschiedliche Richtungen entwickelt hatten, waren wir echt gut miteinander klar gekommen und auch danach hatten wir nie wirkliche Probleme miteinander gehabt. Lediglich wenig Gemeinsamkeiten. Aber er war mein Bruder und trotz meines miesen Verhaltens in den letzten Wochen, war er heute sofort in den Wagen gestiegen, um mich abzuholen. Vielleicht sollte ich wenigstens versuchen, ihn wieder näher an mich heran zu lassen.
Während wir die Bar immer weiter hinter uns ließen, wanderten meine Gedanken ständig dorthin zurück. Schon zum zweiten mal war ich jetzt kurz davor gewesen, Maja zu küssen. Und dieses Mal hatte Maja nicht geschlafen, sondern das Verlangen ganz eindeutig geteilt. Sie wollte mich küssen. Die Erinnerung an den Moment, in dem ich das realisiert hatte, schimmerte noch immer in brillanten Farben in meinem Kopf, der aktuell fast ausschließlich ein einheitliches Grau kannte.
Ich hatte kein Problem mit Josie. Wirklich nicht. Aber dass sie ausgerechnet in der Sekunde aus der Damentoilette hatte kommen müssen... ganz grandioses Timing. Nicht. Obwohl sie uns sofort wieder allein gelassen hatte, war der Moment verflogen und ich war praktisch vor Maja geflohen. Vielleicht hätte ich bleiben sollen. Einen neuen Moment schaffen. Doch als ich zwei Minuten später wieder den Flur betreten hatte, war Maja natürlich schon zurück bei den anderen gewesen. Ich hatte ihre Nervosität gespürt, hatte das laute Rattern ihrer Gedanken beinahe gehört und ihr zur Beruhigung eine Hand auf den Oberschenkel gelegt. Anscheinend hatte das funktioniert, denn sie hatte sich augenblicklich entspannt.
Ich hatte geglaubt, ihr einen Gefallen zutun, indem ich Nate schrieb und ihn bat, mich abzuholen. Ich wollte nicht Schuld daran sein, dass sie ihre anderen Freunde links liegen ließ. Doch die Enttäuschung in Majas Blick war mir nicht entgangen. Was wäre passiert, wenn ich geblieben wäre oder sie gebeten hätte, mich nach Hause zu fahren? Nach all dem, was heute geschehen und beinahe geschehen war, konnte ich nur inständig hoffen, dass unser nächstes Aufeinandertreffen nicht unangenehm werden würde. Ich holte mein Handy aus meiner Hosentasche und öffnete unseren Chat. Dann schloss ich ihn wieder. Ich war gegangen, damit sie Spaß mit ihren Freunden haben konnte. Ihr jetzt zu schreiben und ihre Aufmerksamkeit doch wieder auf mich zu ziehen, war nicht Sinn der Sache. Gleichzeitig verspürte ich das dringende Bedürfnis, mein frühzeitiges Verschwinden ausführlicher zu erklären, als ich es eben getan hatte. Maja durfte auf keinen Fall denken, dass ich nicht lieber bei ihr geblieben wäre. Ich öffnete den Chat wieder. Und starrte minutenlang auf das Display, ohne etwas zu schreiben. Dabei wusste ich eigentlich ganz genau, was ich ihr mitteilen wollte. Mindestens fünfmal löschte ich meine Nachricht wieder und formuliert sich neu, bis ich schließlich einigermaßen zufrieden mit der Formulierung war.
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FALLEN FROM GRACE
RomanceTheo und Maja sind zusammen aufgewachsen, haben Höhen und Tiefen gemeinsam durchlebt - jetzt ist von ihrer Freundschaft nichts mehr zu spüren. Doch als der talentierte Eishockeyspieler Theo gezwungen wird, in die Heimat zurückzukehren, begegnen sich...