Maja
„Bist du wütend auf ihn?"
Olivias Frage war nicht kompliziert und sollte eigentlich leicht zu beantworten sein. Selbst die Antwort war eigentlich offensichtlich. Theo hatte sich in mehr als nur einer Hinsicht falsch verhalten, er hatte gelogen, mir Dinge verheimlicht und gleichzeitig zugelassen, dass ich all meine Schutzmauern abriss und ihm alles von mir gab.
„Ich bin... verletzt", versuchte ich meine Gefühle in Worte zu fassen. „Aber nicht wütend. Vielleicht weil ich verstehe, warum er es getan hat, keine Ahnung." Ich zuckte mit den Schultern.
„Verletzt sein ist manchmal schlimmer als Wut", sagte Olivia mit einem mitfühlenden Lächeln.
Ich erwiderte ihr Lächeln. „Du meinst, ich sollte lieber versuchen, wütend auf ihn zu sein?"
Aus ihrem Lächeln wurde ein Lachen. „Ich wünschte das wäre so einfach, wie es klingt. Aber ja, vielleicht könnte das helfen."
Was ist Olivia nicht sagen konnte, war, dass ich gar keine Wut mehr in mir hatte, die gegen Theo hätte richten können. Denn dann hätte ich die Person erwähnen müssen, gegen die sich all meine Wut aktuell richtete.
„Ich weiß, dass sich das total lächerlich anhört und beweist, wie wenig Rückgrat ich besitze, aber ich möchte gar nicht wütend auf ihn sein", gestand ich Olivia. „Es ist noch nicht einmal eine Stunde her, dass wir uns zuletzt gesehen haben und ich vermisse ihn jetzt schon."
Olivia legte den Kopf schief. „Wenn ich es richtig verstanden habe, wohnt er quasi nebenan. Du könntest jederzeit zu ihm gehen."
„Ja, aber wenn ich jetzt zu ihm gehe, könnte ich vergessen, wie sehr er mich verletzt hat und dann mache ich alles nur noch komplizierter."
„Okay, darf ich dir einen Ratschlag geben?"
„Bitte!", erwiderte ich beinahe flehend.
Lachend griff Olivia nach meiner Hand. „Schlaf eine Nacht drüber. Oder vielleicht auch ein paar mehr. Ich sehe dir an, wie durcheinander und verletzt du gerade bist. Dein Bruder und ich sind jetzt hier und wir werden unser Bestes geben, um dich auf andere Gedanken zu bringen. Keiner von uns wird Theo erwähnen, es sei denn du möchtest darüber sprechen. Wie klingt das?"
„Das klingt sehr, sehr gut", sagte ich mit einem aufrichtigen Lächeln. Etwas besseres als Ablenkung konnte es für mich aktuell kaum geben. Ich wollte nicht an Theo denken, an seine Hände und Lippen, die meinen ganzen Körper erkundeten, an sein Lachen, das alles auf dieser Welt ein Stückchen besser machte. Und ich wollte nicht an meine Mutter denken, an ihre Lügen, ihren Verrat und ihr neues Leben.
„Brauchst du jemanden, der dein Handy konfisziert, damit du nicht in Versuchung kommst, ihm zu schreiben?", bot Olivia an und ich holte mein Handy aus der Tasche und betrachtete es mit gerunzelter Stirn. „Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Außerdem spinnt das sowieso ein bisschen rum. Vorhin im Auto ist es plötzlich ausgegangen, obwohl der Akku noch lange nicht leer war. Vielleicht hat der Reis es doch nicht gerettet..."
„Reis?", fragte Olivia sofort nach. „Ist das Handy nass geworden?"
Ich nickte und erzählte ihr von meinem Zusammenstoß mit dem Hund und meinem anschließenden Sturz ins Meer. Gegen das Lächeln, das sich dabei auf meine Lippen stahl, konnte ich rein gar nichts unternehmen.
Bevor Jacob mich nach unserer Rückkehr vom Heuboden mit Fragen durchlöchern konnten, nahm Olivia ihn beiseite, unter dem Vorwand, dass ich bestimmt sofort meinen Koffer auspacken wollte. Als wir uns später alle in der Küche wieder trafen, stellte mein Bruder keine Fragen, die irgendetwas mit Theo oder meiner Reise nach Florida zutun hatten. Dennoch fühlte es sich beinahe erdrückend an, ihm und unserem Vater gegenüber zu sitzen. War ich wirklich so viel besser als Theo, wenn auch ich etwas derart wichtiges vor den beiden geheim hielt?
![](https://img.wattpad.com/cover/359385024-288-k1855.jpg)
DU LIEST GERADE
FALLEN FROM GRACE
RomanceTheo und Maja sind zusammen aufgewachsen, haben Höhen und Tiefen gemeinsam durchlebt - jetzt ist von ihrer Freundschaft nichts mehr zu spüren. Doch als der talentierte Eishockeyspieler Theo gezwungen wird, in die Heimat zurückzukehren, begegnen sich...