Maja
Angst. Blanke Angst.
Anders konnte ich das Gefühl nicht beschreiben, das sich rasend schnell in mir ausgebreitet hatte, als Theo direkt vor mir auf den Boden gesunken war. Als er immer hastiger geatmet hatte, scheinbar ohne tatsächlich Luft zu bekommen. Als er nicht auf meine Stimme reagiert und ich die Panik, die durch ihn pulsierte, wie elektromagnetische Wellen gespürt hatte.
Aber dann hatte er wieder die Augen geöffnet und es unter meiner Anleitung geschafft, in einen gleichmäßigen Atemrhythmus zurückzufinden. In den Minuten, die wir uns in die Augen geblickt und gemeinsam geatmet hatten, war mir bewusst geworden, dass es mich nicht interessierte. Es interessierte mich nicht, dass ich mein Herz einem großen Risiko aussetzte, wenn ich Nähe zu Theo zuließ. Es interessierte mich nicht, dass die Zukunft ungewiss war. Es interessierte mich nicht, dass die Suche nach meiner Mutter, die Suche nach Antworten, mir eigentlich gerade sämtliche Energie raubte. All das interessierte mich nicht. Ich wollte Theo in mein Leben lassen und wenn Freundschaft nicht mehr ausreichte, um dem, was wir voneinander brauchten, gerecht zu werden, dann war ich bereit, die Grenzen neu zu definieren.
Er hatte seit seinem Unfall keine Eishalle mehr betreten und er hatte mich gebeten, ihn zu begleiten. Weil er geahnt hatte, dass ihm diese Situation nicht leicht fallen würde. Und auch jetzt wollte er, dass ich in seiner Nähe blieb, falls noch etwas passieren sollte. Natürlich würde ich in seiner Nähe bleiben, solange, bis er mich fortschickte. Genau das wollte ich ihm sagen, doch gerade als ich meinen Mund öffnete, trat eine Gestalt in mein Blickfeld.
„So habe ich mir unser Wiedersehen nun wirklich nicht vorgestellt", sagte der Mann, verschränkte die Arme vor der Brust und sah mit einer Miene, die zwischen Sorge und Verwirrung wechselte, zu Theo und mir herunter. Ich kannte den Mann, wenn auch nur flüchtig. Er war der Cheftrainer des Eishockey Vereins und hatte als solcher einige Jahre lang Theo trainiert und ihm zu seinem Stipendium verholfen.
Ich richtete meinen Blick wieder auf Theo, der mich mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen ansah. Fast so, als wollte er seinen Blick nicht von mir abwenden. Aber wieso sollte er Interesse daran haben, weiter mit mir auf diesem unbequemen Fußboden zu sitzen, wenn er doch eigentlich mit seinem ehemaligen Trainer verabredet war? Zumindest ging ich davon aus, dass Theo deshalb hier war.
„Ich bin gleich bei dir, Henry", sagte Theo, während er weiter mich ansah. Henry murmelte etwas, das nach Zustimmung klang und ich nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie er sich ein Stück entfernte. Theo begann, sich umständlich zu erheben und verzog dabei das Gesicht. Meine Hände ließ er nicht los, was das Unterfangen eindeutig erschwerte. Schnell kam auch ich auf die Beine, jederzeit bereit, ihn zu stützen, sollte er sein Gleichgewicht nicht sofort wiederfinden, aber Theo strauchelte nur einmal kurz.
„Ich komme mit", verkündete er. Seine Entschlossenheit spiegelte sich in seiner Stimme und seinem Blick wider. Ich musste ihn nicht fragen, was er meinte. Mein Herz schwoll gefühlt auf die doppelte Größe an, und doch schüttelte ich den Kopf. „Die Flüge sind teuer, Theo. Ich weiß dein Angebot zu schätzen, aber das ist wirklich nicht nötig. Ich schaffe das auch alleine."
„Das war kein Angebot. Und ich weiß, dass du das auch alleine schaffst, daran habe ich nie gezweifelt. Trotzdem begleite ich dich. Es sei denn, du möchtest mich nicht dabei haben."
Er sah mich fragend an, obwohl er die Antwort vermutlich schon kannte. Genauso wie ich sofort gewusst hatte, wovon er sprach. „Natürlich möchte ich dich dabei haben."
Eine vertraute Person in meiner Nähe zu haben, wenn ich mich der Wahrheit hinter dem Verschwinden meiner Mutter stellte, würde alles zumindest ein bisschen leichter machen. Ich wäre niemals auf den Gedanken gekommen, das von Theo zu verlangen, doch nun, wo er es vorgeschlagen hatte, spürte ich, wie sehr ich mir seine Begleitung wünschte.

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FALLEN FROM GRACE
Storie d'amoreEr hatte einen Plan. Einen Traum. Eine Zukunft. Jetzt steht er vor den Trümmern - und ihr. Theo war immer der, der wusste, wohin er wollte: Eishockey, Leistung, Erfolg. Für alles andere - sogar für Maja, seine einst beste Freundin - blieb irgendwann...