Kapitel 61

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Theo

In den letzten Wochen hatte ich mich oft gefragt, ob ich bereits in der Hölle gelandet war. Natürlich sagte mir mein Verstand, dass ich mich nach wie vor auf der Erde befand und nicht zu Satan in die Unterwelt befördert wurde. Aber spätestens jetzt wusste ich, dass ich genau dorthin gehörte.

In Majas braune Augen zu blicken, ihren Körper unter meinem zu spüren, von ihr gehalten zu werden. All das erfüllte mich mit purem Glück. Glück, das ich nicht verdiente.

Diesen Schritt mit ihr zu gehen, während ich ihr etwas derart wichtiges verschwieg, etwas, wofür sie mich möglicherweise hassen würde, war unverzeihlich. Als Maja mich vorhin am Strand geküsst hatte, war mein Körper für einen kurzen Moment in einer Art Schockstarre verfallen. Ich wusste, dass ich sie nicht hätte küssen dürfen und ich war bereit gewesen, mir irgendeine Ausrede einfallen zu lassen, um sie auf Abstand zu halten, nach Möglichkeit ohne sie damit zu verletzen. Doch dann hatte sie angefangen sich zu entschuldigen und ich konnte nicht zulassen, dass sie glaubte, ich würde sie nicht küssen wollen. Also hatte der Egoismus in mir gewonnen und mein Widerstand und meine Vernunft waren mit bemerkenswerter Geschwindigkeit zerbröckelt. Ihr jetzt noch die Wahrheit zu sagen, war unmöglich. Es würde das Vertrauen zwischen uns zerstören und dabei mit großer Wahrscheinlichkeit zwei Herzen brechen.

Gott, ich war ein verdammter Idiot.

Als wollte mein Körper mir Recht geben, durchfuhr mein Knie in diesem Moment ein stechender Schmerz. Es war gut möglich, dass mein Knie schon eine ganze Weile schmerzte und ich diesen Schmerz lediglich ausgeblendet hatte, da mein Körper auf andere Dinge fixiert gewesen war. Ich rollte mich von Maja herunter, sodass ich auf dem Rücken lag und mein Bein entlasten konnte. Der Schmerz weckte sofort eine unterschwellige Angst in mir. Mit zusammen gekniffenen Augen versuchte ich, ihn zu deuten. Hatte ich mein Knie lediglich überlastet? Oder war das, wovor Dr. Lenn mich gewarnt hatte, nun viel früher eingetreten als gedacht?

„Theo? Alles okay?"

Ohne meine Augen zu öffnen, nickte ich. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass es Maja war, die fragte. Maja, die ich nicht noch weiter anlügen wollte. Also ging ich von einem Nicken in ein Kopfschütteln über und öffnete meine Augen. Maja hatte sich über mich gebeugt und betrachtete mich besorgt. Ein Ausdruck, den ich nicht meinetwegen auf ihrem Gesicht sehen wollte.

„Bitte glaub nicht, dass ich irgendetwas bereue oder nicht genau so noch einmal machen würde, aber mein Knie ist wenig begeistert."

„Warum hast du nichts gesagt?", beschwerte Maja sich sofort. „Wir hätten aufhören können. Aufhören müssen."

Ich schüttelte den Kopf. „Ich wollte nicht aufhören. Keine Ahnung, ob ich überhaupt hätte aufhören können. Währenddessen tat mein Knie auch nicht weh, oder zumindest habe ich es nicht wahrgenommen. Andere... Empfindungen waren stärker." Ich grinste, um Majas Sorge zu schmälern und meine eigene Angst zu überspielen. Ersteres schien mir nicht zu gelingen, denn Maja lächelte nur einmal kurz, bevor sie die Stirn runzelte und ihren Blick zu meinem Knie wandern ließ.

„Auf einer Skala von eins bis zehn, wie stark ist der Schmerz?"

„Sieben", entgegnete ich nach kurzem Überlegen. Ich hatte schon deutlich schlimmeres erlebt, aber... fuck. Das hier tat wirklich weh. Maja schaute sich im Zimmer um. „Hast du Schmerztabletten dabei?"

Wenn ich Maja erzählte, dass ich entschieden hatte, die Tabletten erst bei einer glatten Zehn zu nehmen, würde sie mir mit Sicherheit einen Vortrag über Masochismus halten, weshalb ich lieber einfach nur den Kopf schüttelte.

„Soll ich rausgehen und dir was holen?"

„Ohne Rezept bekommst du sowieso nichts, was wirklich hilft", erinnerte ich sie.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt