Kapitel 19

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Theo

Maja musste noch irgendetwas im Stall erledigen, doch sie schickte mich zu der Feuerstelle, an der wir als Kinder viele Abend verbracht hatten und sagte mir, dass sie in Kürze zu mir kommen würde. Aktuell war kein Holz aufgeschüttet, weshalb die Feuerstelle lediglich aus alten Baumstämmen bestand, die um einen verkohlten Fleck Erde gruppiert waren. Ich setzte mich, streckte mein verletztes Bein vor mir aus und schloss die Augen. Trotz der minimalen Fortschritte, die ich heute bei der Physio gemacht hatte, überwogen die Hürden, die sich noch immer meterhoch vor mir aufzubauen schienen. Die Gedanken an all die Arbeit, die noch vor mir lag und die mich möglicherweise doch nicht zum Ziel führen würde, versuchte ich zu verdrängen, während ich tief ein- und wieder ausatmete.

So saß ich bestimmt zehn Minuten tatenlos herum, bis mich ein dumpfes Geräusch aufschrecken ließ. Es klang wie eine Autotür, die zugeschlagen wurde, doch von der Feuerstelle aus konnte ich nicht vor's Haus schauen. Wenig später kam eine Person um das Wohnhaus herum. Soweit ich das von meinem Sitzplatz aus erkennen konnte, war es ein Mann, ganz in schwarz gekleidet. Die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben und er bewegte sich irgendwie seltsam. Wie eine Katze oder ein Raubtier. So, als sei er jederzeit fluchtbereit.

Sollte ich Maja warnen? Oder den Mann verjagen? Wenn er ein Einbrecher war, wieso schlich er dann noch vor Sonnenuntergang auf dem Hof herum? Und wenn er kein Einbrecher war, was wollte er dann hier? Wieso hatte er nicht an der Tür geklingelt?

Ich holte mein Handy aus der Tasche, um Maja anzurufen. Das ging definitiv schneller, als wenn ich zum Stall humpelte. Mal ganz davon abgesehen, dass ich dem Mann dann direkt in die Arme laufen würde. Doch genau in dem Moment kam Maja aus der Stalltür und stieß frontal mit dem Mann zusammen. Sofort war ich auf den Beinen. Maja taumelte etwas und der Mann fasste sie an den Oberarmen, um sie zu stabilisieren. Ich hörte, wie die beiden miteinander redeten, aber der genaue Wortlaut kam nicht bei mir an. Zu meiner Überraschung schien Maja auf den Mann einzureden. Es wirkte fast so, als kannten die beiden sich. Dennoch gefiel mir die Gestik und Mimik der Unterhaltung nicht, weshalb ich mich in Richtung der beiden in Bewegung setzte. Noch immer hatte der Mann Majas Oberarme nicht wieder losgelassen. Möglicherweise war ich aktuell nicht sonderlich gut zu Fuß, aber meine Arme funktionierten ganz wunderbar. Wenn Maja meine Unterstützung brauchte, würde ich mit dem Kerl schon fertig werden. Er war bestimmt einen halben Kopf kleiner als ich und deutlich schmächtiger. Ich war noch gut zehn Meter von den beiden entfernt, als der Mann eine Hand sinken ließ und damit in seine Jackentasche griff. Alarmiert beschleunigte ich meine Schritte, denn eine Hand in der Jackentasche konnte nichts gutes bedeuten. Die beiden hatten mich anscheinend noch nicht bemerkt und während ich die letzten Meter überbrückte, fühlte ich mich plötzlich zwölf Jahre in der Zeit zurück versetzt.

Zwölf Jahre zuvor

Wütend rannte ich zum Sportplatz der Highschool. Fünf Minuten hatte ich mich verspätet und natürlich hatte Maja keine Geduld gehabt und war einfach ohne mich losgelaufen. Dass ich ihr jetzt hinterher rennen musste, störte mich nicht so sehr wie die Tatsache, dass sie alleine unterwegs gewesen war. Der Sportplatz war nur ein paar Straßen von unserem Zuhause entfernt, doch ich hatte ihren Eltern versprochen, dass ich auf sie aufpassen würde. Wenn sie jetzt von einem Auto überfahren wurde, war das meine Schuld.

Endlich tauchte der Sportplatz am Ende der Straße auf. Ich rannte schneller, war jetzt schon außer Atem, obwohl wir gleich noch zusammen Fußball spielen wollten. Schon von weitem entdeckte ich Maja und ich sah auch, dass sie nicht alleine war. Sie stand auf dem Spielfeld, einen Fuß auf dem Ball, die Hände in die Seiten gestemmt und ihr gegenüber zwei Jungs, die sie um ein paar Köpfe überragten. Majas finsterer Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass sie sich in der Situation nicht wohl fühlte.

FALLEN FROM GRACEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt