Zwei Monate später
Maja
Statistisch regnete es in Salt Lake City etwa sieben Tage im ganzen April. Das wusste ich so genau, weil ich es heute Morgen nachgelesen hatte, denn inzwischen regnete es den fünften Tag in Folge. Ich sehnte mich nach der Sonne. Selbst wenn sie erst in ein paar Wochen so richtig anfangen würde zu wärmen, schadete es nicht, sie ab und an wenigstens mal zu Gesicht zu bekommen.
Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke bis nach ganz oben, setzte meine Kapuze auf, öffnete die Autotür und rannte zum Eingang des Diners. Obwohl ich in letzter Zeit regelmäßig laugen ging, musste ich offensichtlich noch an meiner Geschwindigkeit arbeiten, denn als ich drinnen ankam, war ich klitschnass. Ich schälte mich aus meiner Jacke, grüßte Dave hinter der Theke und ging hinüber zu unserem Stammtisch. Sienna, Nolan und Josie saßen bereits dort und unterhielten sich angeregt.
„Hey Leute", begrüßte ich sie und quetschte mich neben Sienna auf die Bank.
„Hast du es schon gehört?", fragte Josie, anstatt auf meine Begrüßung zu reagieren. Auch Sienna und Nolan sahen mich gespannt an. Ich blickte der Reihe nach in ihre Gesichter, bevor ich fragte: „Was soll ich gehört haben?"
Einerseits war es ein Segen, dass drei meiner besten Freunde direkt hier in Salt Lake City studierten und nicht weit weg gezogen waren. Andererseits erlebten sie oft Dinge zu dritt, von denen ich nur durch Erzählungen etwas mitbekam. Vielleicht hatte mein großer Bruder doch Recht. Vielleicht hätte ich mich einfach hier an der Uni einschreiben sollen, meinen Major konnte ich schließlich immer noch ändern, wenn ich wusste, was ich wirklich machen wollte. Aber meines Erachtens war das zu viel verschwendetes Geld.
„Theo ist zurück."
Damit hatte Josie meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Das war kein Gossip vom Campus, das war... Theo. Theodore Harris. Einst mein bester Freund, jetzt ein Fremder.
„Er spielt wieder?", fragte ich überrascht. Natürlich hatte ich von seinem Unfall auf dem Eis mitbekommen. Auch wenn wir zu dem Zeitpunkt bereits seit über einem halben Jahr gar keinen Kontakt mehr gehabt hatten, durchforstete ich in regelmäßigen Abständen das Internet nach Neuigkeiten über ihn. Schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass der beste Freund aus Kindheitstagen zu einem berühmten Eishockeyspieler wurde. Doch dieser News-Artikel im Februar hatte mich schlichtweg schockiert.
Er galt als neuer Stern am Eishockey-Himmel: Theodore „Theo" Harris (20) machte sich bereits während seiner Zeit an der Highschool einen Namen und konnte sich nach seinem Abschluss vor Stipendien kaum retten. Seit Mitte letzten Jahres spielte er für das Team der Michigan State University und arbeitete kontinuierlich auf eine Zukunft in der NHL hin. Nun stürzte er beim Spiel gegen die North Dakota Fighting Hawks schwer. Wie sich seine Verletzung auf seine Zukunft als aktiver Eishockey Spieler auswirken wird, ist derzeit noch unklar.
Selbst wenn ich den Artikel nicht gelesen hätte, wäre diese Nachricht nicht an mir vorbei gegangen, denn am nächsten Tag redete der ganze Stadtteil darüber. Hier war Theo längst eine kleine Berühmtheit. Damals war ich kurz davor gewesen, mich entgegen meines eigentlichen Vorsatzes bei ihm zu melden und ihn zu fragen, wie es ihm ging. Ich hatte es nicht getan. Danach waren keine Artikel mehr zu der Thematik erschienen. Natürlich hätte ich ganz einfach bei seinen Eltern oder seinem Bruder Nate nachfragen können, aber ich hatte mich nicht getraut. Nicht nach allem, was passiert war.
Nolans Kopfschütteln riss mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart. „Nein, er ist zurück. Zuhause."
Nein. Unmöglich. Weshalb sollte er zurück sein? „Um seine Familie zu besuchen?" Mit Sicherheit war er seit letztem Sommer mehrmals zuhause gewesen, auch wenn ich davon nichts mitbekommen hatte. Aber die anderen würde ein simpler Heimatbesuch von Theo nicht weiter beschäftigen, also musste es hier um eine größere Sache gehen.

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FALLEN FROM GRACE
RomanceEr hatte einen Plan. Einen Traum. Eine Zukunft. Jetzt steht er vor den Trümmern - und ihr. Theo war immer der, der wusste, wohin er wollte: Eishockey, Leistung, Erfolg. Für alles andere - sogar für Maja, seine einst beste Freundin - blieb irgendwann...