Theo
Vier Jahre zuvor
„Ich habe irgendwo gelesen, dass 80 Prozent der Menschen die Person, die sie später einmal heiraten, im Alter von 18 Jahren schon getroffen haben", verkündete Maja aus dem Nichts und sah sich neugierig in der Cafeteria um. „Die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Personen irgendwo an dieser Schule rumlaufen, ist also relativ hoch. Wir sollten die Augen in den nächsten vier Jahren stets offen halten."
„Du solltest weniger Statistiken lesen", empfahl ich ihr grinsend, doch ihre Freundin Sienna richtete sich ein bisschen auf, um besser über die Köpfe der anderen Schüler schauen zu können. Es war unser erster Tag an der Highschool. Vier Jahre in diesem trostlosen Gebäude standen uns bevor. Vier Jahre, bevor wir endlich selbst entscheiden konnten, was wir mit unserem Leben anstellen wollten. Am liebsten hätte ich die Vormittage in der Schule einfach links liegen gelassen und mich komplett auf's Eishockey spielen konzentriert. Erst letztes Jahr war ich in das beste Team der Stadt aufgenommen worden und schon jetzt wusste ich, dass das meine Zukunft war. Eishockey. In vier Jahren hoffentlich in der College-Liga und danach professionell in der NHL. Ich sah nicht ein, weshalb ich trotzdem jeden Tag im Unterricht sitzen musste. Nichts von den Dingen, die ich hier lernte, würden mir bei meiner Karriere weiterhelfen. Ich musste trainieren, so oft wie möglich. Aber davon wollten meine Eltern natürlich nichts hören. Mein Vater, der selber als Lehrer an einer anderen Highschool arbeitete, legte sehr viel Wert auf Bildung und hatte mich den ganzen Sommer über daran erinnert, dass ich in der Highschool von Anfang an einen guten Eindruck hinterlassen und mich im Unterricht anstrengen musste, damit meine Chance auf ein Stipendium nach meinem Abschluss größer war. Nate war letztes Jahr mit der Schule fertig geworden und hatte einen ganz anderen Weg eingeschlagen, als von meinen Eltern gewünscht. Zusammen mit einem Freund hatte er ein kleines Geschäft für Sportwaren eröffnet. Zudem boten sie geführte Wanderungen in der Gegend an. Anscheinend hatten sie damit eine Marktlücke gefunden und erfolgreich gefüllt, denn mittlerweile konnten sie sich vor Kunden kaum noch retten. Der Erfolg hatte schließlich auch meine Eltern milde gestimmt. Wenn ich erst einmal Meisterschaften gewann, würden sie hoffentlich auch meine Pläne unterstützen.
„Aber Statistiken sind furchtbar spannend!", riss Maja mich aus meinen Gedanken. „Wusstest du, dass ein Prozent der US-Bürger im Gefängnis sitzt? Wir sind hier mehrere hundert Schüler, also werden mit großer Wahrscheinlichkeit ein paar von uns mal hinter Gittern landen."
Ungläubig sah ich sie an. „Im Ernst? Ein Prozent? Nie im Leben..."
Sofort verschränkte Maja die Arme vor der Brust und taxierte mich mit einem herausfordernden Blick. „Möchtest du wetten?"
Gegen Maja zu wetten war nie eine gute Idee. Meist stimmten die Statistiken, mit denen sie um sich schmiss und generell hatte sie die nervige Angewohnheit, fast immer Recht zu haben. „Was genau? Dass die ein Prozent stimmen oder dass du in den nächsten vier Jahren die Liebe deines Lebens triffst?"
„Das erste", entgegnete sie und verdrehte die Augen. „Ich schließe doch keine Wetten über meine Zukunft ab. Dann werde ich ja doppelt enttäuscht, wenn ich verliere."
In der Theorie stimmte ich ihr zu. Aber Majas Zukunft würde sie nicht enttäuschen. Was sie sich in den Kopf setzte, schaffte sie in der Regel auch. „Wie wäre es mit einer Abmachung?", fragte ich, anstatt eine Wette einzugehen, die ich ohnehin verlieren würde.
„Lass hören."
Ich schob das leere Tablett zur Seite und stütze meine Ellenbogen auf dem Tisch zwischen uns ab. „Wenn wir beide 40 Jahre alt und Single sind, heiraten wir einfach. Dann gehören wir auch irgendwie zu den 80 Prozent." Maja verzog leicht angewidert das Gesicht. „Ich will dich aber nicht heiraten." Na herzlichen Dank auch.

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FALLEN FROM GRACE
RomanceEr hatte einen Plan. Einen Traum. Eine Zukunft. Jetzt steht er vor den Trümmern - und ihr. Theo war immer der, der wusste, wohin er wollte: Eishockey, Leistung, Erfolg. Für alles andere - sogar für Maja, seine einst beste Freundin - blieb irgendwann...