Kapitel 46

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Einige Augenpaare musterten Thranduil und mich, ein paar wenige völlig entzückt. Darunter auch das meiner Schwester und des Maia, der neben ihr Platz gefunden hatte. Selbst über Celeborns Lippen huschte ein sanftes Lächeln.
Thranduil geleitete mich um den Tisch herum und schob meinen Stuhl zurück. Lächelnd nahm ich Platz und wartete geduldig, bis auch er sich gesetzt hatte. Mein Leben schien endlich perfekt zu sein. Es fehlte nur noch ein Mensch an meiner Seite. Und das war Chris. Aber es beruhigte mich zutiefst, dass es ihm in Thranduils Palast an nichts mangelte.
Dennoch gab es da diesen Teil in mir, der ihn wiedersehen wollte und in die Arme schließen, solange bis alle meine Tränen getrocknet sein würden. Denn auch wenn ich ihn nicht auf die Art liebte, die er sich erhofft hatte, empfand ich eine starke Liebe zu ihm als meinen Bruder und besten Freund.

„Nun da alle beisammen sind“, erhob Celeborn das Wort nach einer Weile. Mein Blick löste sich von dem Besteck vor mir auf dem hellen Holztisch, den ich während meiner Gedanken angestarrt hatte.
„Möchte ich euch nur wünschen, dass ihr das Mahl genießt. Auch der Abend soll mit Freude bei den Liebsten verbracht werden“, der Blick des Herrn des Waldes wanderte nach seinen letzten ausgesprochenen Worten auffällig zu Thranduil und mir.

Bis das Mahl zu uns an den Tisch gebracht worden war, hing ein jeder seinen Gedanken nach oder führte eine Unterhaltung in gedämpfter Stimme mit seinem Sitznachbarn. Mein blonder Kopf lehnte an Thranduils Schulter, während er mit meinen Fingern spielte, die ich auf seinem Bein abgelegt hatte. Selena unterhielt sich mit Eönwë, ab und zu zuckten ein paar der kleinen Federn auf seiner Schulter. Im Licht der untergehenden Sonne schimmerten sie leicht golden und wirkten kostbarer als pures Gold.
Haldir diskutierte angeregt mit seinen zwei Brüdern und Elenión saß schweigend neben seiner Schwester. Er musterte mich und lächelte schwach, als ich ihm direkt in die Augen blickte. Ertappt wand der junge Elb sich ab und begann ein Gespräch mit seiner Schwester.

„Was mich persönlich eigentlich noch brennend interessiert, Herr Celeborn, ist warum ich damals vor zwei Jahren in der anderen Welt gelandet bin. Es war ein ganz normaler Tag wie alle andere. Ich trat auf den Platz vor meinen Palast und befand mich plötzlich auf einer Wiese. Wie erklärt Ihr Euch das?“, lenkte Thranduil das Thema plötzlich und unerwartet in eine ganz andere Richtung.
„Nicht, dass ich darüber im Nachhinein gesehen glücklich bin, aber es wäre doch schon sehr nett das Wissen zu besitzen“, fuhr der Waldlandkönig fort. Alle anderen Gespräche am Tisch kamen zur Ruhe und Stille breitete sich aus.
Angesprochener schwieg eine Weile, doch ich wusste, dass er selbst nachdenken musste wie er jetzt am Geschicktesten antworten sollte.

„Nun, Thranduil. Das ist eine sehr gute Frage, über die ich selbst noch nicht eingehend recherchiert habe. Es ist so, dass Leyla zu uns geholt wurde, auf dem gleichen Weg, den sie und ihre Schwester auf ihrer Hinreise nahmen. Ein Portal, dass Eönwë öffnen kann. Ihr habt den Elbenkönig nicht in die andere Welt geschickt oder?“, wand sich Celeborn an den geflügelten Maia, der hinter uns in der Dämmerung aufgetaucht war. Seine weißen Federn schimmerten im letzten Licht der untergehenden Sonne. Bald würde auch dieser Tag sich dem Ende geneigt haben.

„Mitnichten“, seine Augenbrauen zogen sich verwundert hoch und er warf Thranduil einen Blick zu, den ich nicht zu deuten vermochte. Auch die Falten in seiner sonst so reinen Haut wirkten fehl am Platz. Das hatte ich noch nie bei ihm gesehen und es sorgte für ein ungutes Gefühl in meinem Herzen, das sich auch auf meinen Magen übertrug. Wie auf Knopfdruck war mein Hunger verschwunden, wie weggeblasen von einem stürmischen Wind.

„Ich habe das Portal nur ein einziges Mal geöffnet. Das war zu dem Zeitpunkt, als Leyla unsere Welt, ihre Heimat, wieder betreten sollte. Ihre Schwester wurde damals von Námo hergebracht und sonst ist in meiner Erinnerung nur noch ein drittes Mal, dass das Portal geöffnet worden ist“, der Maia setzte sich auf einen leeren Stuhl. Seine Flügel zuckten aufgeregt oder nervös. Ich konnte es nicht sagen. Ich wusste nicht was ich von der ganzen Sache halten sollte. Was ich fühlte, war, dass die Erklärung zu all dem mir nicht gefallen würde und auch den anderen an der Tafel nicht.

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