Kapitel 49

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„Sag das lieber nicht zu laut“, der fremde Elb aus der neben mir liegenden Zelle hatte den Kopf gehoben und musterte mich nun. Seine blauen Augen blickten mir müde und erschöpft aus ihren dunklen Augenhöhlen entgegen.
Panisch erwiderte ich seinen Blick, mit pochendem Herzen den Rücken an die Steinwand gepresst.
„I-ihr versteht mich?“, stammelte ich überrascht. Mit allem hatte ich an diesem fremden Ort gerechnet, nur nicht mit einem Elb, der meine Sprache meisterte.
„Scheint so“, erwiderte er und brachte ein schwaches Schmunzeln zustande, bevor er sich zurücklehnte und den Kopf an die moosbewachsene Wand drückte.
„Ein Mensch auf Valinor. Wirklich etwas, das ich noch nie erlebt habe“, murmelte er zu sich selbst und stöhnte kurz auf, als er die müden Knochen bewegte. Unter der Kleidung war nur zu erahnen wie dünn er eigentlich war.
„Valinor?“, brach es aus mir heraus und meine Gedanken kreisten nur noch um dieses eine Wort. Valinor! Konnte das wirklich sein? Konnte ich es doch bis dort geschafft haben?! Lebend! Wo waren dann nur Eönwë und Selena? Sie mussten doch auch hier irgendwo sein.

„Ja Valinor. Die Unsterblichen Lande. Um genau zu sein sitzen wir in den Kerkern von Alqualonde, falls du das auch noch nicht wusstest. Allein, die Tatsache, dass du ein Mensch-“
„Ich bin kein Mensch“, unterbrach ich ihn mit leiser Stimme und er schwieg. Starrte mich nur ungläubig an.
„Wenn ich das so anmerken darf, aber deine Ohren sind rund, nicht spitz!“, stellte er klar, strich sein Haar zurück und präsentierte mir seine spitzen Ohren.

„Ich weiß, aber ein Mensch bin ich trotzdem nicht so ganz. Aber ich darf nicht darüber sprechen“, wunk ich ab und zog die Beine dicht an meinen Körper. Ein frischer Wind fegte uns um die Köpfe und von draußen drangen die Geräusche der Stadt an unsere Ohren.

„Fenrín“, durchbrach der andere Gefangene plötzlich die Stille, die sich in den letzten Minuten über uns gelegt hatte.
„Was?“, fragte ich verwirrt über die plötzliche Ruhestörung. Ich hatte mich gerade in meine Gedanken gewagt, die meist nichts anderes zuließen als Thranduil. Für mich war der jeglicher Gedanke an ihn mit Schmerz und Sehnsucht verbunden. Es war schrecklich und vielleicht doch eine willkommene Abwechslung, wenn ich mit dem Fremden ein wenig sprach. Er schien der Einzige zu sein, der mich verstand und mich so davon abhielt hier unten noch verrückt zu werden. 

„Mein Name. Fenrín. Und deiner?“, meinte er noch einmal und beobachtete mich belustigt.
„Leyla. Freut mich Fenrín“, erwiderte ich. Seine Art hatte etwas bizarres, ungewöhnliches an sich. Seine Antworten kamen schnell und ohne Vorwarnung. Es schien beinahe, als spräche er ständig so vorwitzig und belustigt wie er es gerade tat.
Etwas, das einen kompletten Gegensatz zu seinem Äußeren darstellte. Ich war mir noch nicht klar, was ich genau von ihm halten sollte!
„Komischer Name. Du scheinst nicht einmal aus Mittelerde zu stammen“, stellte er fest und als mich seine blauen Augen nun musterten, schimmerten in ihnen Unglaube und Verwirrung.
„Richtig“, erwiderte ich knapp.
„Aber auch darüber darf ich nicht sprechen.“
„Eine sehr verschlossene, geheimnisvolle junge Frau, wie mir scheint“, stellte er belustigt fest, stieß sich von der Wand ab und setzte sich im Schneidersitz vor die Gitterstäbe, die unsere Zellen voneinander trennten.

„Du erzählst auch nicht viel von dir, abgesehen von deinem Namen“, brummte ich missmutig und war mittlerweile auch dazu übergegangen ihn zu dutzen. Ablenkung durch ihn war mir jetzt doch nicht mehr so lieb. Viel lieber dachte ich dann doch an Thranduil, schloss die Augen und erinnerte mich an die gemeinsame Zeit mit ihm. Die Stunden, die uns gemeinsam vergönnt gewesen waren, bevor man uns wieder trennte. Wenn ich mich so an die kurze Zeit erinnerte, war es doch die schönste Zeit, seit ich meine Schwester verloren hatte und auch davor war mein Leben nie wirklich perfekt gewesen. Oft hatte es mich gewundert, dass mein Vater mich nur seelisch verletzte und nicht auch körperlich, was er dann ja durch meinen scheinbaren Selbstmordversuch nachholte.

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