Kapitel 58

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Bevor ich überhaupt die Gelegenheit hatte, mich wütend darüber aufzuregen warum er nichts getan hatte, um das Missverständnis aufzuklären, drang seine Stimme so sanft wie eine frische Sommerbrise an meine Ohren.
„Nur weil ich alles sehe und sehen kann, ist das nicht der Zweck meines Seins. Ich kann alles sehen und die Orte, die sich meinen Blicken entwinden, werden von den Vögeln gesehen. Mir entgeht niemals ein Geschehen und doch belasse ich alles so wie es sein soll. Eru hat einem jedem seinen eigenen Willen geschenkt, die Freiheit selbst zu entscheiden. Jedes Volk lebt sein Leben und muss entscheiden welche Feinde und welche Verbündete es sich macht.
Jedes Ereignis hat seinen Grund. Erzähle mir, was könnte der Grund für deine Zeit in den Kerkern gewesen sein?", fragte Manwë mich, ohne auf meine eigentliche Frage einzugehen. Unbemerkt hatte er sie auf mich zurückgeschoben.
„Nunja, mir ist bewusst geworden wie schnell sich doch eine vermeintlich positive Situation in das Schlimmste verwandeln kann, das man niemandem zumuten will. Ich habe den Sturz in das Meer überlebt und doch keine Freiheit gewonnen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann würde ich sagen, dass es gut gewesen ist, dass ich dort saß, auch wenn es mich enorm gelangweilt und genervt hat. Fenrín hat durch mich seine Freiheit erlangt und kann nun zufrieden das Leben hier mit seiner Frau genießen. Vielleicht war es meine Bestimmung zu erkennen welch ein teures Gut die Freiheit doch ist und dass man trotzdem niemals die Hoffnung verlieren darf, denn wie lange man auch hinter Gittern sitzt, irgendwann stolpert ein Engel vorbei und befreit dich. Metaphorisch gesehen. In jede Zelle stolpere ich jetzt auch nicht. Aber ich glaube ich verstehe endlich die Aufgabe, die mir gegeben wurde", flüsterte ich und blickte verwundert auf. Es war als hätte diese eine Frage des Königs meine Sicht auf die Dinge geändert. Endlich verstand ich den Sinn hinter meiner Existenz als Calwafëa, auch wenn ich immer noch nicht alles begriff.

„Ich sollte mich bei Eönwë und Selena entschuldigen. Die beiden haben wirklich alles getan, um mich zu finden. Selena war krank vor Sorge um mich. Aber auch Eönwë hatte immer ein offenes Ohr für mich und meine Tränen. Ich hätte ihn nicht schlagen dürfen", betrübt sah ich auf meine filigranen Finger hinab.
Tatsächlich huschte ein schwaches Lächeln über die Lippen des Königs.

„Eönwë hat mir erzählt, dass du nicht so einfach deine Rolle und die daraus resultierende Verantwortung als Calwafëa annehmen willst. Nicht so einfach wie deine Schwester. Sie konnte sich problemlos an ihr Leben erinnern, die Zeit, die ihr hier in Valinor verbracht habt. Selena war es zu keinem Zeitpunkt schwer gefallen sich an ihre Flügel zu gewöhnen. Durch ihren Tod hatte sie sich damit abgefunden ihre Familie und ihre Freunde nie wieder sehen zu können und ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Dich hingegen bindet Vieles an das Leben. Der junge Mensch. Der Elbenkönig. Sie sind dir wichtiger, als dein Leben hier, wo du aufgewachsen bist", Manwës Blick glitt in die Ferne, fand aber auch immer wieder zu mir zurück.

„Ihr habt Recht. Ich vermisse Chris und Thranduil. Er ist immer für mich da gewesen, er ist mir ein Bruder. Und Thranduil...ich liebe ihn, mein Herz ist bei ihm und ich weiß, dass ich hier niemals mein Glück finden werde. Nicht ohne ihn. Möglicherweise kann ich jedoch beides verbinden. Ihr habt euch zwar alle hier in Valinor zurückgezogen, aber ich möchte mich nicht einsperren lassen. Auch in Mittelerde kann man helfen."

Manwë nickte beeindruckt. Ich selbst hatte schon immer versucht eine Antwort auf die Frage nach dem Warum zu finden. Warum mir so viel Schreckliches passierte?! Jetzt konnte ich endlich eine Antwort darauf geben. Es war nicht wichtig, dass es schlimm war, noch dass ich dadurch besonders stark litt, es war wichtig, dass ich begriff was es hieß zu leiden. Ich sollte erfahren wie man sich in ausweglosen Situationen fühlt und verhält, um Anderen zu helfen. Das war meine Aufgabe! Anderen zu helfen, denen das Schicksal große, schwere Steine in den Weg gelegt hat, die sie ohne fremde Hilfe nicht überwinden konnten.

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