Kapitel 63

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Staunend sah ich mich um. Dicke Baumstämme streckten sich hoch in die Luft, wölbten sich zu einer massiven Decke zusammen, wie in der großen Halle. Sie verzweigten sich, wanden sich ineinander und untereinander und schlossen sich zu dickeren Ästen zusammen. Zwischen den zwei bodenlangen Fenster, von denen eines auf einen kleinen Balkon zu führen schien, streckten sich die Äste dem Boden entgegen.
Sie bildeten zwei Säulen, aus denen sich sogar ein paar kleine Zweige mit grünen Blättern gekämpft hatten. Zwischen den Säulen befand sich ein großes Doppelbett, die natürlichen Stützen grenzten es ein, ließen es wirken, als sei es so gewachsen, wie es hier nun vor uns stand.

„Unglaublich. So ein schönes Bett habe ich noch nie in meinem Leben gesehen", staunte ich und strich andächtig über das weiche Bettzeug. Unter meinem Gewicht gab die Matratze nach, federte ab, als ich mich mit ausgestreckten Armen nach hinten fallen ließ und mit einem zufriedenen Seufzen die Schuhe in die nächstbeste Ecke beförderte.
Thranduil lachte amüsiert.

„Es gibt Angewohnheiten, die ändern sich scheinbar nie."

„Stimmt", erwiderte ich und sah ihm zu wie er auf eine Holzkommode zuging, die an der linken Wand direkt neben einem großen Schrank stand. Auch ihre Ecken waren eingefasst von Baumstämmen, die dann mit der Decke verwuchsen. Mein Blick huschte weiter, verharrte einen Augenblick auf dem großen Schreibtisch, der die rechte Raumhälfte einnahm. Es gab noch eine weitere Tür, die, so vermutete ich, in ein angrenzendes Bad führen musste.

Thranduil zog geräuschvoll die oberste Schublade der Kommode auf, im Spiegel, der über ihr hing, konnte ich seinen Gesichtsausdruck sehen. Er rümpfte die Nase, presste die Lippen aufeinander und zog genervt die Augenbraue in die Höhe.

„Du hättest deine Ankunft ruhig ankündigen können. Jetzt habe ich natürlich gar nichts vorbereitet. Entschuldige also das Chaos", mit einen Knall schubste der Elbenkönig die Schublade zu.
„Welches Chaos? Du sprichst von den wenigen losen Blättern auf dem Schreibtisch? Oder meinst du, dass mir jetzt hier die Rosenblätter auf dem Bett, die Blumen auf der Kommode und eine riesige Herzlich Willkommen Girlande fehlen?" Ich lachte und richtete mich auf. Nach wenigen Schritten hatte ich Thranduil erreicht und ließ meine Hände über seinen Oberkörper streicheln.

„Der Sinn hinter einer Überraschung ist es, dass man nicht davon erzählt. Sonst wäre es ja keine Überraschung. Außerdem konnte ich nicht planen, ob ich kommen dürfte oder nicht. Das hat einzig und alleine meine Abschlussprüfung entschieden", erklärte ich, umgriff seine Hände und führte ihn zum großen Bett.

„Abschlussprüfung?", neugierig zupfte Thranduil an der Schleife meiner Maske und löste sie mir.

„Ja ein Kampf gegen Eönwë. Ich sollte ihn gewinnen, damit Manwë sicher war, dass ich mich auch selbst gut verteidigen kann. Es war seine Bedingung. Aber ich habe gesiegt, naja, ein Unentschieden, aber ich durfte gehen", grinsend streckte ich mich, um auch seine Maske zu entfernen. Liebevoll folgte ich seinem Kieferknochen mit meinem Finger.

„Für mich wirst du immer die Beste sein! Wie ist deine Zeit in Valinor sonst gewesen? Hast du noch andere Maia kennenlernen können?", Thranduil schob mich nun auf das Bett, die Matratze gab unter uns nach.

„Maia jetzt nicht, die haben sich irgendwie alle immer versteckt, wenn ich um die Ecke kam. Ich habe generell eher wenig gesehen, die meiste Zeit war ich mit üben beschäftigt. Meistens hing ich deshalb bei Eönwë herum und nervte ihn. Die andere Zeit, die nicht mit Training vollgestopft war, verbrachte ich bei Irmo. Er hatte mir damals meine Erinnerungen genommen und sie mir nun Stück für Stück zurückgegeben. Mir blieben dann häufig nur noch ein paar Stunden am Tag, die ich frei zur Verfügung hatte. Meistens besuchte ich Fenrín in der Stadt."

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