Kapitel 64

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„Wann stellst du hier Wegweiser für mich auf“, fragte ich leise. Verdattert sah Thranduil zu mir, während wir einen schmalen, langen Gang durchquerten.
„Wegweiser?“
„Ja Wegweiser. Sonst darfst du mich einige Male suchen gehen, weil ich mich verlaufen habe. Das ist ja ein riesiges Labyrinth hier. Gänge, Treppen, Türen und alles sieht gleich aus. Hat sich denn von deinen Leuten noch nie jemand hier verirrt?“, hakte ich verwundert nach.

„Nein. Wir sind alle hier aufgewachsen, wir kennen die Gänge und du wirst rasch merken, dass man sich hier sehr leicht zurechtfindet. Also nein ich werde keine Wegweiser errichten lassen“, stellte der König klar und gab seinen Wachen ein flüchtiges Zeichen.
Thranduil hatte mir bereits den großen Saal, den kleinen Speisesaal, seine Keller, die Küche, in der wir Chris abgeliefert hatten, den Thronsaal und den Beratungssaal gezeigt. Was jetzt noch kommen würde, wusste ich nicht und konnte es mir auch nicht recht vorstellen.
Alle diese bezaubernden Orte, die er mir zeigen wollte, konnte ich mir sowieso nicht merken.

Die zwei Wachen verbeugten sich vor uns, bevor eine von ihnen die hölzerne Tür öffnete.
„Komm, eines möchte ich dir noch zeigen, weil ich doch weiß, dass dir die Ruhe der Natur sehr viel bedeutet. Dieser Ort benötigt keine weitere Erklärung“, Thranduil strich über meinen Handrücken. Er nahm mich zu sich und hakte meinen Arm bei sich ein. Das kühle Licht des Winters beschien unsere Häupter. Die Bäume waren kahl, sie hatten ihre kranken Blätter bereits abgeworfen. Der Wind fuhr durch sie hindurch.

„Ist dir kalt?“, fragte Thranduil besorgt, doch ich schüttelte nur den Kopf.
„Nein, mir ist nicht mehr kalt. Aber Thranduil, das ist bezaubernd, selbst durch den toten, tristen Winter. Es hat etwas Besinnliches, Ruhiges. Und wenn der Frühling kommt, so wird hier alles erblühen, das habe ich im Gefühl“, träumte ich und schritt einige Meter voraus. Der Boden unter meinen Füßen war hart und unnachgiebig.
Frost überzog die wenigen Büsche und Sträucher, die sich noch wacker hielten und der eisigen Luft trotzten. Blumen sah ich keine, der Winter hatte sie alle vertrieben und doch strahlte dieser Ort etwas Magisches aus. Etwas Bezauberndes.

Ich stand inmitten einer winterlichen Lichtung, Bäume umgaben uns. In der Mitte, direkt vor meinen Füßen plätscherte ein kleiner Bach entlang, gespeist vom großen Fluss, der bis zum Langen See führte. In der Ferne erspähte ich den See, ruhig lag er dort, inmitten des Wassers eine ferne Stadt, die bald nicht mehr sein würde.

Frohen Mutes blickte ich in die Ferne, ich genoss die Aussicht, die sich mir bot. 
„Ich liebe es hier“, seufzte ich und drehte mich zu Thranduil um. Zufrieden lächelnd stand er stattlich vor mir.
„Es gibt noch eine Kleinigkeit“, gab der König zu und pfiff leise. Verwirrt sah ich ihn an. Sein Pfiff hallte durch die Stille und für eine Weile lang geschah gar nichts. Die Geräusche verhallten, bis plötzlich ein dumpfes Donnern ertönte. Dann ein weiteres und noch zwei, sie wechselten sich ab, folgten einem bestimmten Rhythmus.

Stocksteif blieb ich stehen, nur aus dem Augenwinkel heraus bemerkte ich eine Bewegung am Waldrand. Etwas schnaubte nicht unweit von mir und endlich wagte ich es den Kopf zu drehen, als sich auch Thranduil bewegte.
Majestätisch neigte der mächtige Hirsch seinen Kopf, der geschmückt von seinem Geweih mehr als doppelt so breit wie sein Kopf. Kleine Blätter rieselten von seinen Schultern, als er sich regte und die Schnauze in meine Richtung neigte. Er schnupperte an mir, seine großen Augen musterten mich neugierig.
Vorsichtig hob ich die Hand und streckte die Finger aus. Warme, feuchte Luft streifte mich, strich über meine Haut.
Er schnaufte und knabberte an meinem Haar, bevor mich ein kräftiger Schlag beinahe zu Boden geworfen hätte.

„Er mag dich“, Thranduil lachte leise und streichelte dem Hirsch über seinen Kopf. Auch er wurde kurz darauf angestoßen und beinahe von seinem Freund auf den Boden befördert. Er lachte und drückte seine Stirn an die des Hirsches. Sie beide sahen sich tief in die Augen, bevor der Elbenkönig die seinen schloss und seine Finger durch das weiche Fell gleiten ließ. Schweigend genoss er die Nähe des sanften Riesen, der still stand, bis er sich nach einer Weile dazu entschloss die Kleidung des Elbenkönigs nach Essen zu durchsuchen.

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