Kapitel 56

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Meine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, während ich den jung erscheinenden Mann vor mir musterte. Entsetzt hatte er nach dem Schlag, der ihn sichtlich unerwartet getroffen hatte, den Mund geöffnet und sich an die Wange gefasst. Nach einer Weile nahm sie sogar eine leicht rötliche Färbung an. 

„Mein Herr! Sollen wir diesen unverschämten Menschen festnehmen?“, fragte eine der Wachen leise und beugte sich zu Eönwë hinunter. Der Maia schüttelte jedoch nach einer kurzen Weile den Kopf.

„Womit habe ich das denn bitte verdient? Wir haben uns alle die größten Sorgen um dich gemacht“, flüsterte er leise, ließ die Hand langsam sinken und legte sie auf den Knauf seines edlen Schwertes. 

„Ach weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht dafür, dass du mich mit auf eine Reise genommen hast, die ich zu dem Zeitpunkt unmöglich hatte bewältigen können, möglicherweise auch weil ich in die See gefallen und beinahe ertrunken wäre, weil irgendein sehr erfahrener Maia den Sturm nicht bemerkt hatte, der sich an uns herangeschlichen hatte. Oh oder weil ihr beide nicht einmal die Anstalten gemacht habt mich zu suchen, mich stattdessen mir selbst überlassen habt und ich dadurch selbst aus meinem eigenen Schlamassel herausfinden musste. Lass mich kurz nachdenken...oh und immer noch weil du mir nicht verraten hast, dass Thranduil Lothlorien einen Besuch abstatten würde. Dir war bestens bewusst was ich für ihn empfinde und wie sehr es mich quält nicht bei ihm sein zu können. So groß die Überraschung auch gewesen war, deswegen bin ich auch immer noch wütend. Ein wenig“, rief ich aufgebracht und stemmte die zuckenden Hände gegen die Hüfte, bevor ich dem geschockten Maia noch eine Backpfeife gab.

„Leyla du bist uns doch noch egal gewesen! Selena ist ganz verrückt geworden vor Sorge und mein Herr war auch nicht gerade begeistert. Manwë hat mir eure Sicherheit anvertraut und das tut er lediglich bei seinen engsten Beratern, wo er sich hundertprozentig sicher sein kann, dass sie ihn nicht enttäuschen“, Eönwë seufzte leise und platzierte seine Hand auf meiner Schulter. Wenige Sekunden später schüttelte ich sie bereits ab. 

„Dennoch...warum habt ihr mich nicht gefunden. Ich verweilte eine Woche lang in Alqualonde. Kann Manwë nicht einmal über seine eigenen Lande blicken? Ich hatte immer angenommen, dass er alles überblicken könnte. Das schloss Valinor ein“, murrte ich und drehte mich von Eönwë weg, als er Anstalten machte mir noch einmal die Hand auf meine Schultern zu legen. Mein Blick fiel auf Fenrín, der neben seiner Frau stand und von ihr gestützt wurde. Wenigstens eine gute Sache hatte es, dass ich in den Kerkern von Alqualonde gelandet war. Eine unschuldige Seele weniger, die hinter Gittern saß. Ohne eine weitere Antwort von Eönwë abzuwarten, ging ich zurück zu dem einzigen, bei dem ich im Moment sicher war. dass er sich um mich sorgen würde. Zu meiner eigenen Verwunderung war das nicht mein eigener Lehrer, sondern der Elb, den ich erst seit einer Woche kannte und der mich zu Beginn nicht gerade ebenbürtig behandelt hatte. 

„Leyla, wie sprichst du denn mit dem Maia? Weißt du denn nicht wer er ist. Das ist Eönwë, der oberste Herold Manwës, König aller Valar, unserer Götter“, zischte Fenrín, als ich die beiden erreicht hatte. 
„Doch! Leider kenne ich ihn besser, als mir im Moment lieb ist, aber beachtet ihn einfach gar nicht. Er soll ruhig wissen, dass ich ihm das nicht so schnell verzeihe!“, erwiderte ich und lächelte ihm aufmunternd entgegen.

„Woher kennst du ihn denn? Du als Mensch einen Maia“, er grinste frech, weil er genau wusste, dass ich das nicht gemocht hatte, wenn er mich so nannte. Doch dieses Mal nahm ich es locker. Meine Mund öffnete sich, doch die Stimme, die daraufhin über den gesamten Platz hallte, war nicht die Meine. Sie war dunkel und getränkt mit Wut. Wie Donner rollte sie auf uns zu, sodass selbst ich zusammenzuckte. Auch wenn ich die Sprache nicht verstand, war mir recht schnell klar, was geschrien wurde, als zwei elbische Wachen auf uns zukamen. Die scharfen Klingen ihrer Speere hatten sie auf mich und Fenrín gerichtet. 
Instinktiv wich ich zurück, ich war keine Kriegerin, weder in meiner Welt war ich eine gewesen, noch hier. So gut war ich noch nicht im Umgang mit meinen Waffen geworden, die ich jetzt sowieso nicht bei mir hatte. Fenrín hatte sich schützend vor seine Frau geschoben, die in diesem Augenblick wahrscheinlich sicherer vor den Wachen war, als seine Wenigkeit.

Ich warf dem Elb einen verwirrten Blick zu, doch er zuckte auch nur mit den Schultern. Scheinbar hatten sie wirklich den weiten Weg von Alqualonde nach Valmar auf sich genommen, um ihre Gefangenen zurückzubringen. Sie kamen immer näher auf uns zu, drängten uns immer weiter zurück, bis Fenríns Frau bereits mit dem Rücken gegen eine der Hauswände stieß. Ich warf einen schnellen Blick zu Eönwë, er war verschwunden. 

„Was?! Der Idiot ist abgehauen? Wie kann er nur! Jetzt wo man ihn doch mal gebrauchen könnte“, tief verletzt von seinem plötzlichen Verschwinden, das ich möglicherweise selbst verschuldet hatte.
„Leyla!“, mein Kopf schoss herum, sodass mir mein eigenes blondes Haar ins Gesicht flog. Die Wachen hatten Fenrín gepackt und von seiner Frau gelöst, sie flehte mit Tränen in den Augen, versuchte ihn aus dem festem Griff der Elben zu befreien, doch gegen zwei ausgewachsenen, starke Männer kam auch sie nicht an. Eine schnelle Reaktion war gefragt und als wenn ich es benötigt hätte, schallte ein einziges Wort in meinen Gedanken. Sing!

Und ich tat es. Ich begann einfach zu singen, die die Worte erschallen und die Schreie der Frau und das Gerufe der Wachen übertönen. So einfach kam mir ein Lied über die Lippen, selbst ohne begleitende Instrumente klang es rein und klar. Ich legte all meine Erfahrung im Singen, all meine Gefühle in dieses eine Lied hinein. Meine Augen hatten sich automatisch geschlossen und als ich sie nach einer Weile wieder öffnete, war Fenrín wieder frei und bei seiner Gattin. Die Wachen waren so gefesselt von meiner Stimme, dass sie sogar ihre Waffen fallen gelassen hatten. Ich hatte niemals geahnt, dass meine Stimme solch eine starke Waffe sein könnte. 

„Leyla das reicht!“, ordnete Eönwë harsch an. Es rauschte und wenige Sekunden später landete der geflügelte Maia neben mir auf dem Boden und legte die mächtigen Flügel an. Ich stoppte nicht, erst als mir auch die dunkle Stimme im Kopf riet es sein zu lassen, bevor die Wachen ihren Verstand vollständig verloren. Erschrocken hielt ich mitten im Wort inne und sah wie die beiden Elben sich an den Kopf fassten und einander verwirrte Blicke schenkten.

„Ach du bist ja auch noch da! Ich musste ihm helfen, er war der Einzige, der mir im Gefängnis Gesellschaft geleistet hat“, rechtfertigte ich mein Handeln.

„Warum hast du nicht gleich aufgehört, als ich es gesagt habe? Hättest du noch weiter gesungen, dann wären die beiden zu seelenlosen Hüllen geworden“, er schob sich vor mich und hielt mich an den Schultern zurück. Er erblickte die Angst und das Entsetzen in meinen himmelblauen Augen. 

„Seelenlos?“, das hatte die Stimme in meinem Kopf nicht sogleich erwähnt, als sie davon gesprochen hatte, dass ich es sein lassen sollte, da die beiden sonst ihren Verstand verloren hätten. Eönwë seufzte, bevor er nickte. 

„Wir sprechen später darüber, wenn es etwas ruhiger ist und du uns alles erzählen kannst, aber erst kümmere ich mich um diese Angelegenheit. Wie lautet der Name des Elben?“, fragte er mich, ich sagte ihm den Namen. Eönwë ließ mich alleine stehen und unterhielt sich schnell und leise mit den beiden Wachen. Die einzigen Wörter, die ich herausfilterte, waren Fenríns und mein Name. 

„Leyla wir fliegen gemeinsam zum Palast hoch, deine Schwester wartet dort bereits auf uns“, Eönwë breitete die Flügel aus und wollte sich bereits mit einem kräftigen Stoß vom Boden abstoßen, da hielt ich ihn mit einer kurzen Geste meiner Hand zurück. Ich würde nicht einfach so verschwinden ohne noch ein Wort an Fenrín zu richten. Direkt vor ihm blieb ich stehen und zog ihn prompt in eine feste Umarmung. 

„Lass dich nicht unterkriegen und iss dir bitte mehr Fleisch auf die Knochen, ich fürchte mich ja, dass ich dich zerquetschen könnte. Achja auch wenn ich jetzt gehen muss, komme ich auf jeden Fall noch einmal auf einen Besuch vorbei“, versprach ich. Fenríns Lächeln erwärmte mein Herz tief im Inneren.

„Wir würden uns freuen, wenn du uns mal besuchen kommst und keine Sorge. Meine Frau sorgt schon dafür, dass ich bei deinem nächsten Besuch gesünder aussehe. Leyla, danke noch einmal für alles was du für mich getan hast. Für eine Menschenfrau bist du ganz in Ordnung“, er grinste verschmitzt, ich tat es auch.

Dann erst war ich dazu bereit meine weißen Flügel auszubreiten und Eönwë in den Himmel zu folgen. In mein neues Heim für eine unbestimmte Zeit. 



Hey :)

Ich wünsche euch allen ein schönes Weihnachtsfest und lasst euh gut beschenken. Genießt aber auch immer die Zeit mit denen, die ihr liebt, denn Zeit lässt sich nicht ersetzen und nicht mit Geld kaufen ^^

Achja wie ihr vielleicht bemerkt habt, habe ich das Profilbild geändert. Mir gefiel der lange Titel der Geschichte nicht mehr und habe ihn deshalb bei dem ersten Part belassen.

Beste Weihnachtswünsche
Eure Laura

Fly with meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt