Kapitel 67

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Seine Augen weiteten sich, als das enorme Klirren von Glas bereits an meine Ohren drang. Beinahe wäre ihm das Weinglas aus den Fingern gerutscht, doch nur das Fensterglas zerbarst auf dem Boden des großen Saals. Die ersten Schneeflocken stoben bereits ins Warme und schmolzen noch bevor sie den Boden berührten.

Entsetzt war der König neben mir aufgesprungen und hatte seinen Wachen mit einem einzigen Wink den Befehl gegeben sich neben den Überresten des Fenstern zu positionieren.
Inmitten der scharfen Scherben lag er auf dem Boden. Schnee zerfloss in seinem Haar und mischte sich mit seinem Blut, bevor es auf das Glas tropfte. Die vielen Wunden, die seinen Körper übersähten, stammten nicht alleine von dem Crash mit der Fensterscheibe.

Mein Herz hämmerte mir in der Brust, als ich mich langsam in Bewegung setzte. Entgegen derer, die schnell von dem Unfallort fliehen wollten, schob ich mich durch die Massen der Elben. Hinter mir her eilte Thranduil, dem seine Untertanen bereitwillig Platz machten.
Es war kaum eine Minute vergangen, da sank ich neben ihm bereits auf die Knie, ungeachtet der kleinen Scherben, die sich in meine Knie gruben. Qualvoll hob er den Kopf und sah mich direkt an. Aus seinen goldenen Augen, in denen von Anfang an immer die Weisheit eines Jahrtausend alten Wesens glühte. 

„Eönwë“, hauchte ich entsetzt. Seine strahlend weißen Flügel hingen schlaff an seinem Körper hinab. Er zitterte, als er sich langsam hoch stemmte. Blut rann aus einem langem Schnitt, der sich quer über seine Wange zog. Kleine Federn landeten langsam neben uns auf dem Boden. Er erinnerte mich an ein vom Fuchs erwischtes Huhn.
Mitleidig sah er mich an, bevor sein Blick für einen Augenblick zu Thranduil huschte, der hinter mir aufgetaucht war. Ich rutschte weiter zu meinem Lehrmeister und er ließ seinen Kopf erschöpft auf meinen Schoß sinken. Einige Minuten verstrichen, bevor er die Augen wieder öffnen konnte. Mittlerweile waren auch die Anderen bei uns angekommen und schienen eine Erklärung von dem Maia zu erwarten. Auch ich wollte wissen was vorgefallen war.
Noch vor wenigen Tagen war ich bei ihm in Valinor gewesen. Was war nur vorgefallen, dass er nun in solch einem Zustand hier auftauchte. Große Sorgen machten sich in mir breit.

„Eönwë, was ist mit dir passiert?“, fragte ich. Mit meiner Hilfe konnte er sich aufsetzen und zog langsam die Flügel an seinen Körper, nicht ohne dass sie einmal besorgniserregend knackten. Er verzog kurz vor Schmerz das Gesicht, bevor er seufzte. Seine Hand ruhte beruhigend auf meiner Schulter, doch mir war das Herz schon längst bis in die Knie gerutscht.

„Selena...deine Schwester. Sie wollte dir hinterher. Ich bin ihr gefolgt. Du hättest niemals alleine von Valinor aufbrechen sollen“, er stöhnte auf, als er seinen Arm bewegte. Klirrend fiel sein Schwert zu Boden, welches er noch immer in der Hand gehalten hatte.
„Was ist mit Selena?“, fragte ich entsetzt.
„Wir wurden angegriffen. Erinnerst du dich noch? Die Gefahr, von der wir stets sprachen?“ Ich nickte und musste schwer schlucken. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit.
„Sie hat sie! Deine Schwester. Leyla du bist in großer Gefahr. Du musst mit mir zurück nach Valinor. In Sicherheit“, ordnete er an, als seine Stimme langsam an Kraft zurück gewann. Ich wusste nicht wie er es tat, doch seine Verletzungen schlossen sich bereits langsam und verheilten.
„Was?! Und was ist mit Sel? Sie ist meine Schwester. Ich muss ihr helfen“, rief ich, Tränen traten mir in die Augen. Ich hatte sie einmal verloren, noch einmal würde mir das nicht passieren.
„Du kannst sie nicht auf eigene Faust befreien. Das wäre Selbstmord. Du würdest alle in Gefahr bringen. Nicht nur dieses Reich“, Eönwës gestärkten Finger schraubten sich um mein Handgelenk, als ich aufgesprungen war. Ich war bereit meine Schwester zu finden, egal was es für mich bedeuten würde.
„Denk an die Prophezeiung“, fügte er hinzu, seine Stimme wieder sanfter.
„Was hat diese Prophezeiung nun damit zu tun?“, schrie ich erregt. Ich bebte am gesamten Körper. Ich wusste nicht was ich tun sollte, wohin ich fliegen sollte. Ohne, dass ich es wollte, war ich aufgesprungen.
„Alles Leyla, alles. Es ist die Prophezeiung, die für dich wichtig sein sollte. Entsinne dich der Worte Manwës“, unter großer Kraftanstrengung war es Eönwë gelungen sich zu erheben.
„Er sagte, dass ich die Hoffnung niemals aufgeben solle und immer auf mich vertrauen soll. Denn das ist meine Aufgabe. Hoffnung schenken an jene, die es benötigen. Ich gebe ihnen die Kraft und kämpfe mit ihnen und für sie um Freiheit“, murmelte ich leise.
„Aber du musst dich auch daran erinnern, welche Last du dadurch auf deinen Schultern trägst. Es ist das Erbe einer alten und mächtigen Art.“ Federn rieselten zu Boden als Eönwë sich auf mich zu bewegte.
„Ja, aber Sel ist wie ich! Sie versteht das alles viel besser und jetzt ist sie weg und niemand weiß wo. Ich wollte das doch alles nie“, die Verzweiflung brodelte erneut in mir auf.
„Aber das ist, wer du bist“, versicherte mir der geflügelte Maia.
„Ich weiß!“, schrie ich laut.
„Das weiß ich doch, Eönwë“, fuhr ich gedämpfter fort.
„Aber ich kann meine Schwester nicht einfach fallen lassen.“
„Das musst du auch nicht. Es war meine Aufgabe euch beide zu beschützen. Mein Herr weiß noch nicht Bescheid was geschehen ist, aber ich habe offensichtlich versagt. Ich konnte sie nicht beschützen, jetzt möchte ich es wenigstens bei dir tun. Wir werden sie gemeinsam finden und befreien“, versprach der ältere Maia.
„Dann wirst du aber Manwë beichten müssen, was geschehen ist.“ Genervt verdrehte Eönwë die Augen. Eine Angewohnheit, die er von mir übernommen hatte.
„Nun komm aber erst einmal. Du siehst schrecklich aus. Sind deine Flügel gebrochen?“, besorgt warf ich einen Blick auf seinen Rücken und strich über einige Federn, die abgeknickt waren. Chris war an die andere Seite des Maia geeilt und stützte ihn.
„Nein zum Glück nicht“, geschwächt sank er auf den Stuhl, den einer der Ratsmitglieder organisiert hatte. Schlaff hingen seine großen Schwingen zu Boden, doch abgesehen von einigen abgeknickten Federn und viel getrocknetes Blut, konnte ich nichts erkennen.

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