Kapitel 60

164 14 8
                                    

Es gab niemanden in ganz Valinor, der so schnell die Unsterblichen Lande wieder verlassen wollte, wie ich es getan hatte. Mein Abschied von Eönwë, Manwë und Selena war kurz ausgefallen, da ich ja wusste, dass ich sie wiedersehen würde, irgendwann.
Bei Fenrín hatte ich mich länger aufgehalten, doch auch wenn dieser Abschied eine Trennung bedeutete, erfüllte es ihn mit Freude, dass ich zu Thranduil zurückkehren konnte.
Von Blu musste ich mich nicht verabschieden, denn die junge Vogeldame verweilte noch im Düsterwald. Weder sie, noch Chris oder Thranduil wussten, dass ich auf dem Weg war. Die Wellen flogen unter mir entlang, sie schäumten auf, als ich dicht über dem Wasser entlang flog.

Dieses Mal verging die Zeit wie im Fluge, ich musste auf niemanden achten, konnte mein eigenes Tempo einschlagen und kein Sturm überraschte mich dieses Mal. Ich überflog die Grauen Anfurten, nahm über dem Land an Höhe zu und gestattete mir erst im geheimen Tal eine Pause. Bei Herr Elrond verbrachte ich die Nacht als sein persönlicher, sehr überraschend angereister, Gast. Früh am nächsten Morgen setzte ich frisch erholt meine Reise fort.

Mit jedem weiteren Kilometer, den ich hinter mir ließ, wuchs meine Aufregung. Würde er sich freuen? Wie würde er reagieren? Was sollte ich Chris erzählen? Er wusste lediglich, dass ich unsterblich war, nichts weiter. Aber niemandem vertraute ich mehr als ihm. Niemandem! Er hatte ein Recht zu erfahren was ich war. Nicht, damit er es wusste, sondern weil er dann verstehen würde. Verstehen warum ich von ihm getrennt gewesen bin, warum um mich herum eine so große Geheimniskrämerei gemacht worden war.
Ich wusste nur nicht wie ich es ihm erzählen sollte. Vor allem aber freute ich mich darauf meinen besten Freund endlich wieder in die Arme schließen zu können.

Dann endlich tauchte er am Horizont auf. Riesig und bedrohlich, aber zugleich auch irgendwie vertraut. Die mächtigen Kronen der Bäume ragten in den Himmel, entfalteten die herbstlich bunten Blätter im Wind und viele bläuliche Falter erhoben sich in die Lüfte um mir Gesellschaft zu leisten. Die Sonne ließ um uns herum die Luft flimmern, trotz des Winters, der sich hier ankündigte. In der Ferne erhob sich der Erebor, ein mächtiger Berg, der einsam hinter einem breiten See in die Höhe ragte.

Ich rauschte nur knapp über den Kronen hinweg. Die dünnen Äste bogen sich im Wind und einige Blätter lösten sich, um mich für eine Weile auf meinem Weg zu begleiten. Der Wind trug mich weiter und weiter, dem Palast des Elbenkönigs immer näher. Wo er lag? Das wusste ich nicht. Mein Herz führte mich und zeigte mir den Weg, den ich nicht mit den Augen sah.
Die Aufregung wuchs und damit auch das Kribbeln in mir drin. Mein Bauch schmerzte schon bald, als hätten sich die blauen Schmetterlinge in mir drin eingenistet.

Plötzlich stoppte ich meinen rasanten Flug und schlug kräftig mit den Flügeln, als ich in der Luft stehen blieb. Etwas hatte mich gestoppt, ich lauschte. Und da drang es erneut an meine Ohren. Ein Grummeln vor Wut, dann ein Knacken von Holz. Kurz darauf hallte ein Schrei durch die Stille.
„Wimmelt es hier nicht vor Spinnen? Riesigen, mörderischen Spinnen? Wer schreit hier so herum? Das ist leichtsinnig“, flüsterte ich zu mir selbst.
Mein Blick huschte in Richtung des Erebors, in die mich auch mein Herz zog. Dann sah ich nach unten mitten durch die dichten Blätter hindurch. Den Boden sah man nicht, doch hier waren die Bäume lichter, sie standen nicht allzu dicht beisammen und da ich um meine Kräfte wusste, wagte ich es.

Meine Flügel schwanden, als ich mit den Füßen den ersten Ast berührte, der mich tragen würde. Geschwind hangelte ich mich nach unten, immer tiefer und tiefer hinab. Alles war still, lediglich das Knarzen und Knacken von Holz war von Zeit zu Zeit zu vernehmen. Ich achtete auf das Zischen, das die Spinnen in den Filmen angekündigt hatten, doch schnell bemerkte ich, dass ich mich in einem anderen Teil des Waldes befand. Lichtflecken tanzten auf dem Waldboden. Kleine Pflanzen trotzten am Waldboden den widrigen Bedingungen, doch sie wuchsen und gediehen. Sie lebten und brachten dem düsteren Wald etwas Schönes, Atemberaubendes. Er kämpfte noch und solange der Wald noch kämpfte, war er nicht verloren.

Fly with meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt