Kapitel 48

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Lange Zeit trieb ich zwischen Leben und Tod in der Dunkelheit. Weder das kalte Wasser, dass ich zu Beginn noch wahrgenommen hatte, noch den Sturm, der um uns gewütet hatte, spürte ich noch. Wenn man es genau nahm, so hatte ich gar keine Gefühle mehr. Ich dümpelte in meiner emotionslosen Schwärze.
War ich überhaupt noch am Leben? Wie fühlte sich der Tod denn an? Konnte ich denn überhaupt so sterben? Oder hatte ich lediglich meinen menschlichen Körper verloren und würde bald als Engel wieder erwachen?

Lange Zeit änderte sich nichts. Erst als eine gefühlte Ewigkeit ins Land gegangen war, veränderte sich etwas! Eine Kraft zog und zerrte mich zurück. Aus Schwarz wurde Dunkelgrau und aus diesem helleres Grau mit Lichtflecken. Die Wärme der Sonne striff über meine Wangen, wagte einen verzweifelten Versuch die Kleidung zu trocknen, die klamm an meiner Haut klebte.
Wo war ich nur? Meine Kleidung war noch nass und in der Nase hing die salzige Luft. Ich musste noch nahe am Meer liegen. Auf einem Strand, denn als ich endlich die Kontrolle über meine Finger zurück gewann, rieselte der feine Sand durch meine zierlichen Finger.
Ich war an einem Strand, lebendig wie mir schien und das brachte eine tiefe Erleichterung mit sich. Ich hatte schon befürchtet, dass ich wir meine Schwester meinen menschlichen Körper verloren hätte. Schließlich wusste ich nicht was Thranduil dazu gesagt hätte.

Immer mehr meines Bewusstseins gewann ich zurück, bis ich nur noch die Augen hätte aufschlagen müssen. Den Versuch mich aufzusetzen, hatte ich schon gestartet, aber verloren. Meine Muskeln schienen aus Wackelpudding zu bestehen.

Die plötzlichen Stimmen in der Ferne brachten mein Herz zum Rasen.
Wer waren sie? Was wollten sie von mir? Mir helfen oder hatte ich von ihnen Gefahr zu befürchten. Ich konnte mich nicht bewegen und so auch nicht die Flucht ergreifen. Ich war den Stimmen hilflos ausgeliefert!

Sie kamen näher, leise Stimmen, die alles andere als bedrohlich klangen. Aber so fremd. Ich verstand keinen einzigen Satz, ab und zu einen Wortbrocken. Es klang dem Sindarin so ähnlich und war doch etwas anderes. Wo war ich hier nur?

Als mir es endlich gelang die Lider hochzuschieben, sah ich verschwommen vor mir zwei männliche Gesichter. Das lange Haar fiel ihnen über die Schulter nach vorne, als sie sich über mich beugten. Sie begutachteten mich, zogen skeptisch die Augenbrauen hoch und sprachen auf mich ein. Immer wieder und wieder schienen sie dieselbe Frage zu stellen. So sehr ich es auch versuchte, ich verstand sie nicht, starrte die beiden nur an.

„Mensch!?“, war das erste Wort, das ich verstand. Es klang so überrascht und ungläubig, dass ich daran zweifelte, dass die beiden jemals einen Menschen zu Gesicht bekommen hatten.
„W-wo bin ich?“, fragte meine kratzige Stimme, wieder kamen von ihnen nur fremde Wörter, die keinen Sinn ergaben. Haldir hatte mir zwar Elbisch beigebracht, was mir nun jedoch nichts zu nutzten schien.

Wasser. Mensch. Frau. Unmöglich. Strand. König. Gefahr. Viele verschiedene Worte, die sich zu einem leichten Netz zusammenfügen ließen. Ich konnte nur erahnen, dass sie über mich sprachen.

Beide schienen mich mit ihren hellen Augen durchlöchern zu wollen, als sie plötzlich grob nach meinen Armen griffen und mich hoch auf meine Beine zogen. Empört schrie ich auf.
„He! L-lasst mich los. Was soll das?“, rief ich und wand mich mit all der Kraft, die ich aufzubieten hatte, in ihrem Griff. Doch genau das Gegenteil von dem, was ich damit erreichen wollte, geschah. Die beiden Elben festigten ihren Griff nur noch mehr, quetschten mir regelrecht das Blut ab. Ich spürte bereits wie sich schmale rote Striemen von ihren Fingern an meinen Armen bildeten. Sie schraubten sich fest, um zu verhindern, dass ich nicht floh. Doch meine Probleme lagen gerade wo ganz anders.

Ich vermisste Thranduil, mein Herz schrie nach ihm, aber das war ja gar keine Neuheit mehr. Zudem aber fragte ich mich wo Eönwë und Selena waren. Ob sie mich suchten oder dachten sie etwa, dass ich meinen menschlichen Körper verloren hatte und mich nun irgendwo befand. An einem Ort, von dem ich nicht wusste, wo er war.
Aber auch wo ich mich nun befand, über welchen hellen Sandstrand ich gezogen wurde, konnte ich beim besten Willen nicht sagen.

Fly with meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt