Kapitel 54

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„Vertraust du mir Fenrín?“, fragte ich leise.  Verwirrt warf der braunhaarige Elb mir einen Blick zu, der genau das aussagte, was ich mir kurz zuvor auch gedacht hatte. Wie konnte man aus dieser Situation herauskommen ohne wieder im Gefängnis zu landen und ohne die Wachen zu verletzen, was wir beide in unserer Verfassung sowieso nicht bewerkstelligt hätten.

„Nun sag schon! Vertraust du mir wirklich? Würdest du mir dein Leben anvertrauen?“, hackte ich noch einmal nach, als immer noch keine Antwort seine rissigen Lippen verlassen hatte. Immer noch etwas verwirrt und durcheinander nickte der Elb merklich, auch wenn ihm die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben war. Verständlicherweise.

Abrupt blieb ich stehen, in der Nähe plätscherte leise das Wasser des Brunnens in seinem Becken, in der Ferne rauschte das wilde Meerwasser. Möwen kreisten am Himmel und beinahe etwas sehnsüchtig blickte ich hoch zu den Herrschern des Himmels. Es schien mir als würden sie mich zu sich hoch rufen, ja fast schon anschreien, doch stetig blieben die Zweifel, dass ich es nicht schaffen würde. Aber dieses Mal musste ich es schaffen, eine andere Wahl blieb mir beinahe nicht. Vielleicht war es auch einfach nur der unbändige Wille nach Freiheit, der mich auf diese Idee gebracht hatte.

Der aufbrausende Wind verfing sich in den großen weißen Federn, die im warmen Sonnenlicht edel schimmerten. Zum Glück hatte mein Absturz ins Meer keine Schäden hinterlassen, sodass ich nun die enorme Kraft spürte, die von den Schwingen ausgingen und mich durchströmte.

„Gut festhalten“, flüsterte ich und das musste ich Fenrín nicht zweimal sagen. Als ich meinen Arm um seinen knochigen Körper legte, klammerte er sich fest an mich und blickte zweifelnd auf die Wachen, die uns gefährlich nahe gekommen waren, jetzt jedoch beim Anblick meiner Flügel erstaunt angehalten waren.

Mein Blick glitt zurück nach oben in den Himmel. Kleine weiße, flauschige Wolken zogen vorbei und wunken mich zu sich. Ich sammelte alle Kräfte, die ich irgendwo in mir drin auftreiben konnte und schlug mit den mächtigen Schwingen. Sie waren dafür ausgelegt meinen kompletten Körper zu tragen, auch wenn ich noch lange nicht trainiert im Umgang mit den Flügeln war.
Unkontrolliert taumelte ich wenige Meter über dem Boden, bis ich endlich mit kräftigen Schlägen an Höhe gewann und der frische Seewind nach den Federn griff.

„Na das ging ja nochmal ganz gut“, ich lächelte schwach und warf einen flüchtigen Blick zurück zum Palast. Die Sonne spiegelte sich in den vielen Muscheln und den weißen Steinen. Unter uns rauschten die Straßen und Häuser der Stadt vorbei, begleitet von ein paar erstaunten Rufen.
„Du...du bist eine der Calwafëa!“, hörte ich Fenríns erstaunten Ausruf gegen den kräftigen Wind, der uns ab und zu heftig durchschüttelte. Erst je weiter ich uns landeinwärts flog, schwächte der Wind ab.

„Ja Fenrín das stimmt. Auch wenn ich selbst noch nicht lange davon Kenntnis habe“, erhob ich meine Stimme gegen den Wind.
„Und die Prophezeihung?“, fragte er neugierig.
„Die entspricht der Wahrheit. Meine Schwester und ich waren gemeinsam auf dem Weg nach Valinor, als uns der Sturm überraschte. Sie hat weit aus mehr Flugerfahrung, als ich und so dauerte es nicht lange bis ich ins Meer stürzte. Den Rest der Geschichte kennst du ja sicherlich“, erklärte ich, während ich auf eine große Felsspalte zusteuerte. Eingeschlossen zwischen zwei riesigen Gebirgen, die sich bis zum Horizont erstreckten.

„Übrigens habe ich keine Ahnung wohin ich fliegen muss“, bemerkte ich nach einer Weile. Die Felsen hatten wir hinter uns gelassen und jetzt erstreckten sich weite Wälder und Wiesen vor uns. Viele Meter unter uns konnte ich einen kleinen Pfad erspähen, der sich durch eben jene schlängelte wie ein Aal.
„Das ist ein Problem, ich nämlich auch nicht. Ich bin ja nicht viel weiter als Aqualonde gekommen. Guck einfach mit deinen Augen und lass mich ja nicht fallen!“, Fenrín verstärkte den eigenen Griff um meine Hände und zog die Beine an.
„Solange du dich nicht bewegst, ist alles gut“, bemerkte ich und zog ihn noch einmal enger an mich, verbunden mit einem kurzen Straucheln, als mich der Wind erfasste.

Es verging noch eine weitere Stunde, bis die Silhouette einer Stadt am Horizont erschien. Mit jedem weiteren Flügelschlag rückte sie näher und doch zog noch eine weitere halbe Stunde ins Land, bis ich zum Landeanflug ansetzen konnte.
„Halte dich gut fest Fenrín! Meine Landungen sind mir bisher so gut wie immer misslungen“, warnte ich den älteren Elb in meinem Griff, der nur ein Nicken als Antwort gab.
Ich sammelte noch einmal alle meine Kräfte, auch wenn meine Arme jeden Moment versagen könnten. Nach einiger Zeit wurde der Elb dann doch etwas schwer. Mit kräftigen Flügelschlägen, näherte ich mich dem Boden. Staub wirbelte auf und die kleinen Grashalme, die sich durch den Stein gekämpft hatten bogen sich im Wind zur Seite.

Ich rief mir noch einmal Eönwës  Anweisungen und Tipps ins Gedächtnis, um sowohl mich als auch meine Fracht sicher auf dem Boden abzusetzen.
Entgegen all meiner Erwartungen berührten meine Füße den Boden als erstes, kurz gefolgt von Fenríns, der erleichtert die Luft aus seiner Lunge ausstieß.
Gerne hätte ich es ihm gleich getan, doch ich streckte noch einmal die Flügel aus, bis es nicht mehr weiter ging, bevor ich sie verschwinden ließ und erleichtert ausatmete.

„Hoffentlich gibt das keinen Muskelkater“, seufzte ich und lachte leise. Endlich waren wir frei!
„Das war es allemal wert. Leyla...ich muss dir danken. Ohne dich und deine Hoffnung säße ich noch immer dort unten im Gefängnis. Du hast mir gezeigt, dass man die Hoffnung niemals verlieren sollte“, Fenrín platzierte die knochige Hand auf seiner Brust und neigte den Kopf. Eine elbische Geeste, die ich nur zu gern erwiderte.

Als wir beide langsam die Köpfe wieder hoben, hallte ein aufgeregter Ruf durch die Stille, die sich über die anwesenden Elben gelegt hatte, wie ein todbringender Schleier.
Manche blickten geschockt und entsetzt, die Überraschung und der Unglaube war Vielen im Gesicht deutlich abzulesen. Ich bezweifelte nicht, dass sie ebenfalls von der Prophezeihung Kenntnis hatten.
Unauffällig war mein spektakulärer Auftritt mit den riesigen weißen Schwingen aus Federn so rein wie der Schnee im tiefsten Winter, auch nicht gerade gewesen.

„Fenrín wir sollten uns an irgendjemanden wenden“, bemerkte ich nach einer Weile und ließ meinen forschenden Blick über die Menge gleiten.
„Aber an wen?“, murmelte ich und wand meine Aufmerksamkeit wieder Fenrín zu, der die schmale Hand auf meine Schulter gelegt hatte.
„Wie wäre es mit meiner Frau? Sie wird schon lange hier leben und die Gemahlin von Elrond ist auch nach Valinor gesegelt“, Fenrín lächelte und endlich erreichte das Lächeln und die Freude auch seine Augen.
Darüber brauchte ich nicht lange nachzudenken und so gab ich nickend meine Zustimmung.

Wir machten uns also auf den Weg in eine Stadt, die wir beide nicht kannten. Es erinnerte mich beinahe etwas an meine erste Zeit in Berlin als junge Studentin. Ich kannte niemanden und musste von heute auf morgen in der Großstadt zurechtfinden. Selbst zum Supermarkt war es eine halbe Abenteuerreise.

Was wir nicht wussten war, dass unsere Ankunft in der Stadt schon längst bekannt geworden war und die Informationen schnell die Runde gemacht hatte.
Ein erschrockener Ausruf, der mich ein wenig an den Namen von Fenrín erinnerte, erinnerte mich daran, dass wir uns gerade nicht in Berlin befanden.


Hallo ^^

Ich bin es mal wieder :D

Ich hoffe ihr hattet/habt schöne Herbstferien und genießt die schönen letzten etwas wärmeren Tage des Oktobers und freut euch auf Halloween xD

Habt ihr etwas für Halloween geplant? :)

Eure Laura

Fly with meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt