Kapitel 66

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"König Thranduil des Waldlandreiches und Lady Leyla!", erhob ein junger Elb die kräftige Stimme, als Thranduil und ich die großen Doppeltüren zum Festsaal durchschritten. Es schien mir, als würde er neben mir her schweben, während sich meine Wangen bei unserer Ankündigung röteten. Alle Blicken lagen auf uns. Ich war es nicht gewohnt, aber leider musste ich mich an diese Aufmerksamkeit gewöhnen. Ich hatte mich für ihn entschieden, für ein Leben an seiner Seite, als eine Königin. Auch wenn mir diese neue Herausforderung noch immer Unbehagen bereitete und ich mich selbst noch lange nicht dazu bereit fühlte. Irgendwann würde ich es hoffentlich, so redete ich mir Mut zu, während ich neben Thranduil zwischen den zwei Reihen aus Tischen her lief.

Ein Fest. Ein prächtiges Fest, welches die Elben jedes Jahr auf ein Neues feierten. Die genaue Absicht hinter dieser Feierlichkeit hatte ich noch nicht ganz verstanden. Die Elben benannten es nach dem Mond und auch den Sternen. Ich wusste, dass besonders auch die Waldelben von den Himmelskörpern der Nacht fasziniert waren. Der Mond, Tilion, war wie ich ein Maia, aber ich kannte ihn nicht. Er zog des Nachts über den Himmel und verschwand am Tag, wenn Arien zu sehen war.

„Leyla!“, zischte jemand leise neben mir. Verwundert zuckte ich zusammen. Manches Mal ließen meine übermenschlichen Fähigkeiten noch zu Wünschen übrig. Chris kicherte leise neben mir, während er sich zu mir hinab gebeugt hatte.
„Leyla was möchtest du essen?“, fragte mein Kumpel noch einmal leise.
„Entscheide du. Aber ein wenig Obst für den kleinen Dieb hinter mir“, murmelte ich ebenso leise zurück und deutete auf die blaue Vogeldame, die empört krächzend auf der Stuhllehne hin und her wanderte.
„Danke Chris“, fügte ich noch schnell mit einem Lächeln hinzu, welches er nur zu gern erwiderte, bevor er zurück in Richtung Küche verschwand.

„Ich erinnere mich noch an unser erstes Essen in seinem Speiselokal“, meinte Thranduil plötzlich neben mir.
„Ich auch, du hast mich beinahe verrückt gemacht mit all deinen Extrawünschen“, merkte ich schmunzelnd an. Legolas kicherte leise. Er saß seinem Vater gegenüber an der rechteckigen Tafel. Neben ihm hatten Feren und seine Frau Platz gefunden und auch noch ein paar andere Elben saßen mit uns am Tisch. Ich kannte sie noch nicht.
„Kennt deine Welt keine Könige?“, fragte der Prinz neugierig.
„Doch Könige gibt es schon noch. Aber nicht in dem Land, aus dem ich komme. Durch die Geschichte kam es einfach nicht dazu. Lange Zeit hatten wir einen Kaiser, eine Art König, aber schon seit vielen Jahrzehnten wird das Land von einem gewählten Rat geführt. Selbst die Länder, die einen König haben oder eine Königin, haben bereits einen Rat, der unterstützend wirkt“, erklärte ich schulterzuckend.
„Wer wählt denn den Rat?“, neugierig beugte Legolas sich nach vorne.
„Das Volk. Jeder, der erwachsen ist. Habt ihr hier denn keinen Rat oder so etwas? Oder machst du das alles ganz alleine?“, fragend stupste ich Thranduil in die Seite. Er hatte sich das Glas mit Wein gerade an die Lippen gesetzt, das er nun wieder sinken ließ.
„Ich habe auch einen Rat“, erklärte er und trank doch einen Schluck von seinem Rotwein.
„Feren, der Leiter meiner Garde. Galion, der Kerkermeister. Aber auch der restliche Rat, die in ihrem Bereich ihre Fähigkeiten bewiesen haben.“ Damit deutete Thranduil auf die restlichen Elben, die sich mit uns den Tisch teilten. Sie stellten also den Rat, der Thranduil zur Seite stand.
„Du wirst sicherlich den Abend über noch die Gelegenheit bekommen dich mit ihnen vertraut zu machen“, fuhr er fort und aus dem Augenwinkel sah ich wie seine Mundwinkel bei einem Grinsen zuckten.
Statt einer Antwort seufzte ich lediglich und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Fast automatisch schlossen sich meine Augen.

„Menschen sind komisch“, bemerkte Legolas leise zu Feren, der neben ihm saß.
„Das habe ich gehört“, ich hob den Kopf und öffnete die Augen. Thranduils Sohn sah mich aus großen Augen an, deren Farbe er von seinem Vater geerbt haben muss.
„Diese Art der Zweisamkeit ist bei euch nicht üblich. Das weiß ich mittlerweile doch auch.“
„Und du möchtest dich nicht unseren Gepflogenheiten anpassen?“, fragte Legolas.
„Ich könnte schon, aber ich möchte nicht. Nicht in allem. Ich bin als Mensch aufgewachsen, Legolas. Ich möchte das nicht aufgeben, es ist ein Teil von mir und den möchte ich nicht verlieren. Außerdem scheint es Thranduil ja nicht zu stören. Meine Menschlichkeit ist das Letzte, neben Chris und Blu, was ich von meinem alten Leben Zuhause noch habe“, gab ich zu.
„Wie war es denn dort? Ist es anders? Und vermisst du das nicht?“, Legolas lehnte sich zurück, als ein junger Elb vor ihm einen Teller auf dem Tisch abstellte. Auch vor mir und allen anderen wurde das Essen abgestellt und für eine kurze Zeit herrschte Schweigen am Tisch.

Ein Apfelstück nahm ich von meinem Teller und hob es hoch. Blu krächzte erfreut und wenige Sekunden später klemmte das Obststück zwischen ihren Krallen.
„Immer. Ich vermisse es ständig. Am meisten meinen Bruder und meine Mutter. Sie waren...sie sind mir sehr wichtig.“ Unbewusst strich ich über die Narbe an meinem Handgelenk. Erst Thranduils warmen Finger, die sich um meine schlossen, ließen mich die verkrampfte Hand wieder lösen.
„Aber ohne Thranduil zu leben wäre schlimmer gewesen. Die zwei Jahre, die ich ohne ihn zurückgeblieben war, waren mit die Schlimmsten, die ich überstehen musste. Ich glaube, dass jeder im Leben einmal an den Punkt kommt, wo er sich entscheiden muss. Ich habe mich entschieden. Für ein Leben hier, bei dem Mann, den ich liebe. Auch wenn es bedeutet hat, dass ich Vieles zurücklassen musste. Ich habe dadurch etwas gewonnen, was es wert ist“, lächelnd sah ich zu Thranduil. Er strahlte und seine Augen schimmerten vor Freude und Glück.
„Natürlich, du hast ja immer noch mich!“, damit ließ sich Chris neben mich auf seinen Stuhl sinken. Breit grinsend lockte er Blu mit einem halben Apfel zu sich, die sich gerne auf die Verlockung einließ.
„Ja dich habe ich natürlich auch. Du bist der Beste!“, versicherte ich ihm. Sein Grinsen wurde breiter und er strich sich durch den Bart.
„Und ich habe Gesichtsbehaarung“, er zwinkerte mir zu, was mich zum Lachen brachte. Feren und auch die anderen Mitglieder des Rates blickten recht ratlos zu uns hinüber. Thranduil war die Anwesenheit von Chris bereits gewohnt, er wusste um seine Späße.

„Und hat Thranduil dir sein Reich schon gezeigt oder was habt ihr so getrieben?“
Vor Überraschung blieb mir ein Stück meines Essens im Halse stecken. Reflexartig begann ich zu husten, bis ich rot angelaufen war und kaum noch Luft bekam. Nur langsam konnte ich mich beruhigen, doch meine Wangen glühten immer noch. Verwirrt sahen uns die anderen an. Sie alle, die sowieso spürten was zwischen Thranduil und mir geschehen war. Nur Chris wusste es nicht, der mich mit erhobener Augenbraue ansah.
„Ich glaube ich verstehe langsam“, merkte er an, nachdem ich einen flüchtigen Blick mit dem Elbenkönig ausgetauscht hatte und nur noch rötlicher angelaufen war.
„Eure Welt ist zwar sehr offen, aber in einem Thema äußerst verklemmt, Christian“, philosophierte Thranduil neben mir.
„Wirklich?“, Legolas hatte sein Besteck zur Seite gelegt und sah zwischen Chris und mir hin und her.
„Bemerkt ihr Menschen es etwa nicht, wenn zwei Seelen sich gefunden haben?“, fragte er erstaunt. Ich, außer Stande noch ein Wort von mir zu geben, war nur in der Lage den Kopf zu schütteln.

„Wartet Mal!“ Chris hob die Hände und sah mich ernst an.
„Willst du mir gerade weismachen, dass jeder Elb hier spürt, dass ihr beide intim gewesen seid?“ Wieder nickte ich und nahm hastig einen großen Schluck von Thranduils Wein. Er brannte meine Kehle hinab.
„Ja ich glaube schon. Sie spüren das...irgendwie“, gab ich zu.
„Wow“, Chris sah mich mit großen Augen an.
„Und merken die das jetzt jedes Mal?“, hackte er leiser nach.
„Nein.“ Dieses Mal gab Thranduil eine Antwort.
„Für einen Menschen ist das schwer zu begreifen. So wie die Liebe existieren bei uns viele Gefühle auf eine intensivere Art und Weise, als bei euch. Gegenseitig bemerken wir jedoch nur die Vereinigung der Seele. Das geschieht beim ersten Mal, wenn wir, wie drückt ihr das aus, miteinander schlafen.“ Damit hatte Thranduil seine Erklärung beendet und widmete sich wieder seiner Mahlzeit und seinem Wein.
„Das ist wirklich sehr interessant“, bemerkte Chris mit einem breiten Grinsen und knuffte mir mit dem Ellbogen in die Seite.

„Muss ich sonst noch etwas wissen?“, fragte er kurz darauf.
„So wie ich das verstanden habe, gelten wir dadurch als Mann und Frau“, meinte ich und nahm mein eigenes Glas Wasser in die Hand.
„Das wusste ich schon“, gab mein Kumpel zu. Er legte sein Besteck auf den Teller, da er mit dem Essen bereits fertig war. Viele der Anwesenden hatten ihre Mahlzeit bereits beendet und manche waren bereits aufgestanden. Besonders einige junge Elben, auch wenn ich nicht viele Kinder unter all den Erwachsenen ausmachen konnte.
Auch ich hatte bereits fertig gegessen und meinen Teller von mir geschoben. Nachdenklich nippte ich an meinem Wasser, während ich beinahe verträumt den Schnee beobachtete, der vor den Fenstern vom Himmel rieselte. Große und schwere Flocken segelten langsam hinab und bedeckten alles mit einer dicken, weißen Decke.

Nur für einen kurzen Moment wand ich den Blick vom Fenster ab, als ich Thranduils Finger wahrnahm wie sie mir über den Handrücken strichen.

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