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Nachdem meine Mum mir geholfen hatte die einzige Pflanze, die ich besaß – eine große Zimmerpalme – die Treppe hoch zu bugsieren, wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Anschließend machte ich mich daran meine restlichen Sachen einzuräumen und diesem Zimmer ein wenig Val einzuhauchen.
Nachdem dann endlich alles stand, hörte meine Mum bereits von unten rufen: „Es gibt Essen!"
Mit einem Blick auf meinen Wecker erkannte ich, dass es nun allmählich wirklich an der Zeit war Mittag zu essen. Die roten Ziffern zeigten nämlich 2.03pm und auch mein Magen meldete sich schon knurrend.
Bevor ich jedoch die Treppe herunter jagte, machte ich noch einen kleinen Abstecher ins Bad. Dort angekommen betrachtete ich mein Spiegelbild. Meine sonst recht ordentlichen dunklen Locken standen zerzaust in alle Richtungen ab und umrahmten auf seltsame Art und Weise mein leicht gebräuntes Gesicht. Aus diesem stachen besonders meine grünen Augen und die hohen Wangenknochen hervor, die ich wohl oder übel von meinen Erzeugern geerbt haben musste.
Manchmal wünschte ich mir dieselben blauen Haare, wie der Rest meiner Familie, doch dann sagte meine Mutter immer mit neckischen Unterton: „Es gibt überall ein schwarzes Schaf und deshalb bist du mein absolutes Lieblingsschaf."
Ich lächelte bei dem Gedanken daran, schnappte mir einen Haargummi, der bereits seinen Weg auf den Waschbeckenrand gefunden hatte und band meine Haare zu einem strengen hohen Zopf zurück. Dann eilte ich hinunter in die Küche.
Schon von weitem wehte mir der verführerische Duft von den hausgemachten Pfannkuchen meiner Mutter entgegen. Sofort schien sich meine Laune zu bessern, denn nun erschien ein breites Lächeln auf meinen Lippen.
Wie üblich ließ ich mich auf dem Platz gegenüber meiner Mutter fallen und schenkte ihr einen dankbaren Blick. Wenn eines mir helfen würde mich hier einzuleben, dann waren es diese Pfannkuchen.
Ich nahm mir gleich zwei auf einmal und bestrich sie dick mit Erdbeermarmelade. Während mein Dad wie üblich dasselbe tat, rümpfte meine Mutter die Nase. Ihrer Meinung nach gehörten Schicken und Käse auf das Gericht. Bäh, konnte ich da nur sagen.
In großen Bissen verschlang ich einen Pfannkuchen nach dem anderen und fing mir dafür belustigte Blicke von meinen Eltern. Aber hey, was sollte ich sagen? Ich hatte einen Bärenhunger. Zudem konnte ich mir diesen mit meinem Stoffwechsel locker leisten.
"Du Valerie, Dad, Leon und Ich möchten nachher nochmal nach Forks fahren, um ein wenig einzukaufen, möchtest du mit?", durchbrach meine Mutter als Erste das Schweigen.
Ohne mit dem Essen aufzuhören schaute ich sie an und schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich wollte ich mich gleich noch ein wenig in der Nähe umschauen", teilte ich ihr mit. Selbst wenn ich hier unfreiwillig war, wollte ich wenigstens wissen mit was ich es hier zu tun hatte.
"Will mit", quengelte Leon und schaute mich mit seinen großen Teddybäraugen an. Sowohl ich, als auch meine Eltern schüttelten den Kopf. Normalerweise hätte ich ihn ohne Widerworte mitgenommen, aber heute brauchte ich ein bisschen Zeit für mich.
Auch meine Eltern verstanden das, weshalb mein Vater sacht meinem Brüderchen widersprach: „Nein Leon, wir wollen doch noch neues Spielzeug für dich kaufen."
Sofort war Leon begeistert von der Idee und vergaß, dass er eigentlich mich begleiten wollte. Ich lächelte in mich hinein und machte mich daran mein Geschirr abzuräumen.

Meine Eltern hatten vor knapp fünfzehn Minuten das Haus verlassen. Erst jetzt streifte ich meine Schuhe über und begab mich nach Draußen.
Die Luft, welche mir entgegen schlug, war kühl, aber nicht unangenehm. Sie trug mir den Geruch von Nadelbäumen und dem Meer entgegen. Wenn ich den Geschichten meiner Eltern glauben konnte, müsste sich ganz in der Nähe der Ozean befinden.
Heute führte mich mein Weg jedoch weg davon und tiefer in den Wald. Zu Beginn war ich noch gelaufen, doch inzwischen joggte ich einen unsichtbaren Pfad zwischen den Bäumen entlang. Umso größer die Distanz zwischen mir und unserem Haus war, desto ungefährlicher wurde es. Denn wo Häuser waren, befanden sich zumeist auch Menschen.
Allerdings stieg mir ein weiterer Duft in die Nase, der mich dazu verleitete mich weiter zu entfernen. Ohne nachzudenken folgte ich meinen Instinkten auch wenn sich ein ungutes Gefühl in meinem Inneren ausbreitete.
Als dieses aber langsam abebbte, wagte ich dem Ziehen in meinem Inneren nachzugeben. Etwas in mir zerriss und trieb mich dazu mich auf meine Hände fallen zu lassen. Anders als bei meiner ersten Verwandlung ging dieser Prozess schnell von statten, sodass ich binnen weniger Augenblicke nicht mehr auf zwei Beinen, sondern auf vier Pfoten stand.
Das erste Mal, als es passierte, war ich unvorbereitet. Ich hatte mich mit meiner Mum zerstritten, da meine Eltern mir jahrelang vorgemacht hatten das ich ein Teil dieser Familie war. Natürlich verstand ich damals nicht, dass Blut nicht immer alles war. Eine Familie bestand aus viel mehr, als irgendwelchen Genen. Liebe und Zuneigung verband uns und würde es auf Ewig tun.
Dennoch verspürte ich damals derartige Wut. So große, dass es mich innerlich zerriss und da verwandelte ich mich erstmal in die riesige graue Wölfin. Zum Glück befand ich mich zu diesem Zeitpunkt auf einem der Feldwege, die nur selten von Menschen benutzt wurden und hatte Zeit zu verstehen, was mit mir geschehen war.
Seit jenem schicksalhaften Tag lernte ich über mein Geheimnis zu schweigen und mich unter Kontrolle zu haben.
Meine Glieder bewegten sich in dem altbekannten Rhythmus und brachten mich schnell voran. Die Bäume rasten nur so an mir vorbei, während ich mich daran machte die überschüssige Energie loszuwerden. Meine letzte Verwandlung lag immerhin eine Woche zurück. Es war somit höchste Zeit geworden.
Noch immer mied ich die Stellen an denen mir unbekannte Gerüche in die Nase stiegen. Irgendetwas in mir schrie, dass ich mich von ihnen verhalten musste.
Allerdings verstand ich erst, warum dies so war, als ich das wütende Geheul eines Wolfes hörte. Adrenalin durchflutete mich, als daraufhin mehrere Stimmen einsetzten. Wenn hier ein Rudel sein Revier hatte, war es für mich an der Zeit umzukehren.
Eilig drehte ich um und rannte in doppelten Tempo zurück. Immer wieder vernahm ich Wolfsgeheul. Es trieb mich voran und ließ nicht zu, dass sich der Abstand verringerte.

MondgeheulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt