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Mittlerweile hatte ich mich an die neugierigen Blicke und das Tuscheln gewöhnt, dass mich jedes Mal begleitete, wenn Liam und ich Hand in Hand über den Schulkorridor schritten. Ich verspürte zwar noch immer ein gewisses Unbehagen, wenn die ganze Aufmerksamkeit auf uns landete, aber Liam's Nähe half mir dabei. Er gab mir Halt.
Doch auch Liv stärkte mir zunehmend den Rücken. Sobald sie den Schock überwunden hatte, dass Liam und ich nun ein Paar waren, hatte sie mir wie immer beigestanden. Außerdem schienen sich beide von Tag zu Tag besser zu verstehen.
Auch in unserem sozialen Umfeld hatte sich einiges verändert. Dadurch, dass Liam und ich offiziell zusammen waren, kam es häufig dazu, dass er sich in der Mittagspause an unseren Tisch setzte. Oft wurde er dabei von einigen Rudelmitgliedern begleitet, sodass sich unsere kleine Gruppe allmählich zu vergrößern begann. Vor allem Lea sahen wir dadurch häufiger.
Seit dem Vorfall an Silvester hatten wir immer wieder flüchtig miteinander Kontakt gehabt, aber erst jetzt hatte sich tatsächlich eine Freundschaft daraus entwickeln können. Was sowohl mich, als auch Olivia sehr freute, denn schneller als uns lieb war, hatten wir das taffe Rudelmädchen in unsere Herzen geschlossen.
Durch den ständigen Kontakt mit dem Rudel gewöhnte ich mich an ihre Gegenwart. Zum allersten Mal seit langem fühlte sich mein Leben ziemlich normal an. Ich war wie ein ganz normales Mädchen, das gerade ihre große Liebe gefunden hatte. Verliebt bis über beide Ohren und glücklich. So glücklich, dass ich beinahe den Teil in mir vergaß, der mich von allen anderen unterschied.

Bloß an Tagen, wie diesen Dienstag, konnte ich nicht vergessen, wer ich tatsächlich war.
Müde ließ ich mich gegenüber von Liv und direkt neben Liam auf einen der Stühle fallen. Heute hatten wir uns in der Pause in der Bibliothek verabredet, um für die anstehende Englischklausur zu pauken. Allerdings fühlte ich mich dazu im Moment alles andere als bereit.
Ich erregte sofort die Aufmerksamkeit meiner Freunde, als ich wie ein Schluck Wasser auf dem Tisch zusammen sank. Ein Schluck Wasser in der heißen Mittagssonne. Im Sommer. In einer Wüste. Umgeben von Feuer und Hitze.
Alarmiert sahen mich beide an. Liam fasste sich als erster ein Herz, indem er vorsichtig fragte: „Val? Was ist los?"
Ich grummelte bloß, nicht in der Lage ihm eine richtige Antwort zu liefern. Ich fühlte mich total matt. Prompt landete Livs Hand auf meiner Stirn. „Du bist heißer als sonst."
Ich ignorierte ihre Worte und versuchte stattdessen meine Wange an der Tischplatte zu kühlen. Auch Olivia schien mich zu ignorieren, denn sie stellte sofort weitere Fragen. „Wie lange ist das schon so? Wann hast du dich das letzte Mal gewandelt?" Das letzte Wort flüsterte sie bloß und sah sich misstrauisch zu allen Seiten um.
Ich überlegte einen Moment lang, bevor ich ihr die Antwort lieferte: „Ich glaub' als Liam es herausgefunden hat."
„Was?!", entfuhr es meiner besten Freundin ein wenig zu laut, denn sofort lagen unzählige strafende Blicke auf ihr. Sofort dämmte sie ihre Stimme, zischte jedoch nicht minder aufgebracht: „Das ist schon drei Wochen her, Val!"
„Eins zu null für dich Sherlock", erwiderte ich daraufhin trocken. Dann wandte ich den Kopf ab und schloss die Augen.
„Das ist viel zu lange, Valerie!", mischte sich nun allerdings auch noch Liam ein. Er klang verärgert, gleichzeitige sprach jedoch seine Hand, die sanft über meinen Kopf streichelte eine ganz andere Sprache.
„Das weiß ich selbst", fauchte ich, trotz seiner zärtlichen Berührungen.
„Und warum gehst du dann das Risiko ein? Egal, wie gut deine Selbstkontrolle ist, wenn du dich nicht regelmäßig verwandelst, riskierst du eine unkontrollierte Wandlung!", knurrte nun ebenso gereizt zurück.
„Ich pack das schon!"
„Vergiss es! Ich fahr dich jetzt heim!"
„Nein", knurrte ihr und spürte, dass die Wölfin immer näher an die Oberfläche rückte. Ich fletschte die Zähne und starrte Liam angriffslustig entgegen. Sollte er noch einen Schritt über diese Grenze wagen, würde ich - nein die Wölfin - ihm direkt an die Kehle gehen.
„Wow, wow, wow. Zieh die Krallen ein, Val!", fuhr Liv auf einmal hastig dazwischen und deutete auf meine Fingernägel, die sich langsam zu Klauen wandelten. Auf der Stelle zog ich sie zurück, warf Liam jedoch weiterhin böse Blicke zu.
„Vorschlag", durchbrach Olivia unseren stummen Machtkampf und schob sich somit zwischen die Fronten. „Valerie bleibt bis zum Ende in der Schule. Schließlich kann sie nicht noch mehr Stoff verpassen. Sie liegt ohnehin schon ziemlich zurück." Mit diesen Worten warf sie Liam einen ernsten Blick zu. „Nach der Schule bringe ich sie Nachhause und helfe ihr dabei ihre Eltern von unserem kleinen spontanen Wandertrip zu überzeugen. Und hier kommst du ins Spiel, Loverboy. Du bringst uns an einen Ort, an dem Val sich ungestört verwandeln kann. Von mir aus könnt ihr beide ein bisschen fang den Wolf spielen, während ich am Auto schmiere stehe. Was haltet ihr davon?"
Es dauerte eine Weile bis Liam auf Livs rationalen Plan reagierte, doch nach einigen Augenblicken gab er seine angespannte Haltung auf und auch ich gab unter Livs strengen Blick klein bei. Ich seufzte, willigte aber dann ein: „Das klingt nach einem Plan."
„Gut", grinste meine Freundin uns beide zufrieden an. „Wir haben nämlich gleich Chemie und bis dahin sollte ihr beiden Turteltäubchen euch wieder zusammengerauft haben."
Tatsächlich behielt Liv mal wieder recht. Am Ende der Pause hatte Liam wieder liebevoll einen Arm um mich geschlungen, während ich mich lächelnd an ihn kuschelte.

MondgeheulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt