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Valerie

Es war der letzte Dienstag vor den Weihnachtsferien. Noch vier Tage musste ich überstehen und dann hatte ich es geschafft. Doch nicht nur dies hob meine Laune deutlich an, sondern auch die Tatsache, dass ich heute Liam wiedersehen würde.
Tatsächlich war dieser Dienstag der erste Tag, an dem ich mich auf unsere gemeinsame Englischstunde freute. Ich lief also wie üblich durch die prall gefüllten Gänge des Schulgebäudes und fand meinen Weg in das Klassenzimmer von Mrs. Johnson. Dort angekommen, ließ ich mich sogleich auf meinem Fensterplatz nieder, den Blick nach Draußen gerichtet. Von Liam war bisher noch keine Spur...
Ein bitterer Zug legte sich um meine Lippen. Es passierte schon wieder. Ohne zu wissen, wie mir geschah, drifteten meine Gedanken immer wieder zu dem Uley-Jungen. Der Grund, weshalb dies jedoch geschah, blieb mir verborgen.
Klar, wir waren jetzt Freunde, doch machte mich dieser Fakt gleich abhängig von ihm? Definitiv nicht.
Außerdem war es sowieso noch recht früh, sodass - abgesehen von mir - ohnehin bloß noch drei weitere Schüler anwesend waren.
Ich gebot meinen Gedanken an Liam also Einhalt und zog stattdessen meine Kopfhörer heraus. Er würde schon irgendwann auftauchen.
Und so wartete ich, wartete und hörte ein Lied nach dem anderen, bis es schließlich den Unterrichtsbeginn einläutete und Mrs. Johnson ihren Posten betrat. „Guten Morgen, alle miteinander", begrüßte sie uns und erhielt als Antwort ein verschlafenes Gemurmel.
„Ich weiß. Ich weiß", hob sie daraufhin beschwichtigend die Hände, während ein verständnisvolles Lächeln ihr Gesicht zierte. „Ihr alle habt keine Lust mehr, da euch kaum noch vier Tage von euren wohlverdienten Weihnachtsferien trennen. Dennoch können wir hier nicht einfach Däumchen drehen. Also schlage ich euch vor, dass ihr es heute ganz entspannt angeht, ein wenig an euren Projekten weiterarbeitet, während ich die Anwesenheit überprüfe, okay?"
Erneut war zustimmendes Gemurmel zu vernehmen. Dann begann unsere Englischlehrerin auch schon damit die Namen auf ihrer Liste, wie gewöhnlich aufzuzählen.
„Valerie Moore", hörte ich nach einer Weile schließlich meinen und gab ihr mit einem kurzen Handzeichen zu verstehen, dass ich da war. Dann verfiel ich wieder in Schweigen.
Dieses wurde allerdings erneut gebrochen, als Liam's Name aufgerufen wurde. „Liam? Liam Uley?"
Zögerlich hob ich die Hand. „Mrs. Johnson, Liam ist bisher noch nicht aufgetaucht."
Sie ließ ihren Blick kurz durch die Klasse schweifen, bevor sie mir zu nickte. „Tatsächlich. Weißt du zufällig den Grund seines Fehlens?"
Ich wollte gerade Verneinen, als sich jemand anderes in unser Gespräch einschaltete. „Er ist krank, Ma'am."
Krank?, halte es in meinem Kopf wieder, während ich Jake, der gesprochen hatte, einen überraschten Blick über die Schulter zuwarf. Warum behauptete er, dass Liam krank sei? Gestern oder besser gesagt heute Nacht war es ihm doch noch blendend gegangen, aber nun sollte sich dies geändert haben?
Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen. Da musste doch irgendetwas faul sein.
So unauffällig, wie möglich zog ich mein Handy aus meiner Hosentasche hervor und tippte eine Nachricht an Olivia. Hast du zufällig Liam's Nummer?
Kaum, dass es meine SMS abgeschickt hatte, erhielt ich auch schon eine Antwort von meiner besten Freundin. Nein, wieso? Wozu brauchst du seine Nummer? Hab' ich was verpasst?!
Ach Mist, das hatte ich total vergessen. Bisher hatte ich Liv ja noch nicht auf den neusten Stand der Dinge gebracht. Eilig schrieb ich zurück: Nicht so wichtig. Erzähle ich dir später.
Kaum, dass zwei Häkchen hinter der Nachricht auftauchten, hob ich die Hand und verzog mein Gesicht. „Mrs. Johnson, mir geht es auf einmal nicht so gut. Könnte ich mich vielleicht im Krankenzimmer ein wenig hinlegen?"
Meine Lehrerin, die eben noch in einer Arbeit vertieft war, schaute nun verblüfft auf. Aber kaum, dass ihre Augen mein Gesicht erblickten, wurden ihre Züge weich. „Natürlich Valerie", willigte sie anschließend auch gleich ein und erhob sich. „Soll ich oder jemand deiner Mitschüler dich dorthin begleiten oder schaffst du das allein?"
„Nein, ich denke es geht schon", flüsterte ich, bevor ich mich langsam erhob. Während ich dies tat, achtete ich stets darauf immer eine Hand auf dem Tisch vor mir abzustützen, sodass es so wirkte, als würde ich ohne dessen Hilfe zusammenbrechen.
„Soll' dich wirklich niemand begleiten?", hakte meine geliebte Englischlehrerin noch einmal nach, während ihr Blick mich durch das gesamte Klassenzimmer verfolgte. Ich bekam beinahe ein schlechtes Gewissen, dass sie sich so um mich sorgte, obwohl ich doch eigentlich kerngesund war.
Dennoch riss ich mich zusammen und behielt meine Maske aufrecht. „Nein, nein, ich schaffe das."
Mit diesen Worten und begleitet von Mrs. Johnsons „Gute Besserung", verließ ich das Klassenzimmer. Und kaum, dass die Tür sich hinter mir geschlossen hatte, rannte ich auch schon los...

MondgeheulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt